70 | 3. Fragestellung
fenheit weiterhin bewahrte und durchaus die obengenannten Bedeutungen tragen
konnte.279
Mit propositum ist letztlich, jenseits aller semantischen Differenzierungsver-
suche, ganz allgemein jenes »Vorhaben« gemeint, das die Suche nach Gott bein-
haltet. Es umschreibt somit all jene Wege, die zu Gott führen, und verweist auf
die Vorstellung eines gottgefälligen Lebens. In der vorliegenden Arbeit wird daher
propositum in dieser allgemeinen Bedeutung verwendet. Es umfasst alle jene Ideale
und Verhaltensweisen, die in einer Gemeinschaft als Inbegriff eines gottgefälligen
Lebens angesehen wurden. Befasst man sich mit der correctio einer Gemeinschaft,
ist es unabdingbar, sich die Frage zu stellen, welche Vorstellung ihre Mönche von
einem gottgefälligen Leben hatten. Es gilt daher auf möglichst breiter Quellenbasis
herauszuarbeiten, welche Ideale in einer Gemeinschaft eine besondere Rolle spiel-
ten und deswegen eigens hervorgehoben wurden. Bedenkt man, dass gerade die
correctio eines Klosters oftmals die Produktion von Texten beträchtlich ansteigen
ließ und vor allem erzählenden Texten eine starke identitätsstiftende Funktion zu-
gesprochen wird, ist es naheliegend, vor allem diese Texte näher in Betracht zu
ziehen, gehören sie doch zu jenen institutionellen Instanzen, die nach Melville
die Kohärenz zwischen den einzelnen institutionellen Elementen wiederherstellen
und festigen sollten. Vor dem Hintergrund, dass diese Texte mitunter deutlich pa-
ränetische Implikationen aufweisen, wird danach zu fragen sein, welche Ideale in
diesen Texten direkt angesprochen werden, aber auch wie sich diese indirekt durch
die bewusste Auswahl von Themen und res gestae fassen lassen.
Melville und seine Schüler haben sich intensiv mit den eremitischen Gemein-
schaften der Zeit des religiösen Aufbruchs befasst, denen es gelungen war, ihr ur-
sprüngliches propositum zu verstetigen. Das Interesse galt daher vor allem den im
12. Jahrhundert entstehenden Orden als Beispiele für gelungene Institutionalisie-
rung. In einzelnen Fällen wurde auch auf die Schwierigkeiten und das Scheitern der-
artiger Prozesse hingewiesen.280 So gut wie gar nicht beachtet wurden bislang aber
jene eremitischen Gemeinschaften, die um 1100 entstanden sind, ihr eigenes propo-
situm formulierten, dieses aber nicht in ein eigenes Normengefüge und eine eigene
neue Organisation überführten, sondern den Weg zu »traditionellen Benediktiner-
klöstern« einschlugen, indem sie die Regula Benedicti und beispielsweise die Ge-
wohnheiten von Cluny annahmen. Die vorliegende Arbeit wird sich daher in zwei
Fallbeispielen mit solchen Gemeinschaften befassen, aber auch mit zwei Klöstern,
die auf eine weit ältere Tradition zurückblicken konnten und um 1100 eine correctio
erfuhren. In allen vier Beispielen wird die Frage zu stellen sein, wie und wann diese
279 M. Schürer, Das »propositum«, S. 128.
280 G. Melville, Stephan von Obazine; Ders., Brückenschlag zur zweiten Generation.
fenheit weiterhin bewahrte und durchaus die obengenannten Bedeutungen tragen
konnte.279
Mit propositum ist letztlich, jenseits aller semantischen Differenzierungsver-
suche, ganz allgemein jenes »Vorhaben« gemeint, das die Suche nach Gott bein-
haltet. Es umschreibt somit all jene Wege, die zu Gott führen, und verweist auf
die Vorstellung eines gottgefälligen Lebens. In der vorliegenden Arbeit wird daher
propositum in dieser allgemeinen Bedeutung verwendet. Es umfasst alle jene Ideale
und Verhaltensweisen, die in einer Gemeinschaft als Inbegriff eines gottgefälligen
Lebens angesehen wurden. Befasst man sich mit der correctio einer Gemeinschaft,
ist es unabdingbar, sich die Frage zu stellen, welche Vorstellung ihre Mönche von
einem gottgefälligen Leben hatten. Es gilt daher auf möglichst breiter Quellenbasis
herauszuarbeiten, welche Ideale in einer Gemeinschaft eine besondere Rolle spiel-
ten und deswegen eigens hervorgehoben wurden. Bedenkt man, dass gerade die
correctio eines Klosters oftmals die Produktion von Texten beträchtlich ansteigen
ließ und vor allem erzählenden Texten eine starke identitätsstiftende Funktion zu-
gesprochen wird, ist es naheliegend, vor allem diese Texte näher in Betracht zu
ziehen, gehören sie doch zu jenen institutionellen Instanzen, die nach Melville
die Kohärenz zwischen den einzelnen institutionellen Elementen wiederherstellen
und festigen sollten. Vor dem Hintergrund, dass diese Texte mitunter deutlich pa-
ränetische Implikationen aufweisen, wird danach zu fragen sein, welche Ideale in
diesen Texten direkt angesprochen werden, aber auch wie sich diese indirekt durch
die bewusste Auswahl von Themen und res gestae fassen lassen.
Melville und seine Schüler haben sich intensiv mit den eremitischen Gemein-
schaften der Zeit des religiösen Aufbruchs befasst, denen es gelungen war, ihr ur-
sprüngliches propositum zu verstetigen. Das Interesse galt daher vor allem den im
12. Jahrhundert entstehenden Orden als Beispiele für gelungene Institutionalisie-
rung. In einzelnen Fällen wurde auch auf die Schwierigkeiten und das Scheitern der-
artiger Prozesse hingewiesen.280 So gut wie gar nicht beachtet wurden bislang aber
jene eremitischen Gemeinschaften, die um 1100 entstanden sind, ihr eigenes propo-
situm formulierten, dieses aber nicht in ein eigenes Normengefüge und eine eigene
neue Organisation überführten, sondern den Weg zu »traditionellen Benediktiner-
klöstern« einschlugen, indem sie die Regula Benedicti und beispielsweise die Ge-
wohnheiten von Cluny annahmen. Die vorliegende Arbeit wird sich daher in zwei
Fallbeispielen mit solchen Gemeinschaften befassen, aber auch mit zwei Klöstern,
die auf eine weit ältere Tradition zurückblicken konnten und um 1100 eine correctio
erfuhren. In allen vier Beispielen wird die Frage zu stellen sein, wie und wann diese
279 M. Schürer, Das »propositum«, S. 128.
280 G. Melville, Stephan von Obazine; Ders., Brückenschlag zur zweiten Generation.