72 | 3. Fragestellung
stark von Hallinger geprägte Filiationsprinzip für die Zeit des 11. Jahrhunderts
anachronistisch und verfehlt sei, da dieses erst mit den Zisterziensern im 12. Jahr-
hundert zum Tragen kam.282 Auch wenn Hallingers verfassungsgeschichtlicher
Ansatz bei der Beschäftigung mit »Reformen« in den 1950er Jahren ein Novum
war, tendiert die neuere Forschung, wie beispielsweise Margue, dazu, sich wieder
eher den correctiones von Klöstern als Einzelfälle zu nähern und sie in ihrem jeweils
spezifischen Kontext zu untersuchen.283
Die vorliegende Arbeit löst sich ebenfalls von dem weit verbreiteten verfas-
sungsgeschichtlichen Ansatz und richtet den Blick in erster Linie auf die einzelnen
Gemeinschaften und ihre correctiones. Dies bedeutet aber nicht, dass die durchaus
wichtigen Verbindungen zwischen den Klöstern und der Außenwelt einfach aus-
geblendet werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Beziehungen zwischen den
Klöstern meist auf den Hallingerschen Prinzipien der personellen Beziehungen und
dem Austausch von Consuetudines-Texten definiert wurden, soll nun vielmehr der
Blick geweitet und auf die Vielfalt dieser Beziehungen gerichtet werden. Es stellt
sich daher die Frage, welchen unterschiedlichsten Einflüssen eine Gemeinschaft
ausgesetzt war und welche Verbindungen sie mit ihrer Umwelt pflegte. Das Klos-
ter wird als Teil eines großen Netzes betrachtet, dessen Fäden nicht nur spirituelle,
sondern auch wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Bande knüpften.
Besonders die spirituellen und rechtlichen Bande werden in der Forschung bis
heute oft dazu verwendet, Klöster nach ihrer spirituellen Ausrichtung zu kategori-
sieren: Gemeinschaften, die in irgendeiner Weise mit den Consuetudines von Cluny
in Verbindung gebracht werden können, wurden und werden allzu schnell mit dem
Attribut »cluniazensisch« belegt, ohne zu hinterfragen, ob und inwieweit der ordo
cluniacensis in diesen Gemeinschaften überhaupt zum Tragen kam. Wollasch,
Schreiner und zuletzt Cochelin sind diesbezüglich aber zu wichtigen Erkennt-
nissen gelangt, wiesen sie doch darauf hin, dass die Gewohnheiten Bernhards von
Cluny in vielen Klöstern lediglich als Referenztexte Verwendung fanden.284
Eine Analyse der klösterlichen Überlieferung nach Aspekten, die als spezifisch
»cluniazensisch« bezeichnet werden können, scheitert aber bereits daran, zu defi-
282 J. Wollasch, Neue Methoden, S. 535-536: » >Das monarchische Prinzip der Filiatiom wurde postuliert,
auch wenn es historisch erst die Cistercienser waren, die jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches,
in dem Herr über die Klöster des Reiches der König und Kaiser gewesen ist, den Orden in der rechtlich
festgelegten Form von Filiationen (generatio, linea usw.) geschaffen haben, und die Frage geistig-geist-
lich entstandener Filiationen nicht ein vorgegebenes Prinzip, sondern ein Suchbild für die Erforschung
des mittelalterlichen Mönchtums darstellt [...].«
283 Zum verfassungsgeschichtlichen Ansatz vgl. kurz K. Hallinger, Neue Fragen; M. Margue, Aspects poli-
tiques de la »reforme« plädiert hingegen dafür, jede »Klosterreform« gesondert zu betrachten.
284 Siehe dazu oben S. 40-43.
stark von Hallinger geprägte Filiationsprinzip für die Zeit des 11. Jahrhunderts
anachronistisch und verfehlt sei, da dieses erst mit den Zisterziensern im 12. Jahr-
hundert zum Tragen kam.282 Auch wenn Hallingers verfassungsgeschichtlicher
Ansatz bei der Beschäftigung mit »Reformen« in den 1950er Jahren ein Novum
war, tendiert die neuere Forschung, wie beispielsweise Margue, dazu, sich wieder
eher den correctiones von Klöstern als Einzelfälle zu nähern und sie in ihrem jeweils
spezifischen Kontext zu untersuchen.283
Die vorliegende Arbeit löst sich ebenfalls von dem weit verbreiteten verfas-
sungsgeschichtlichen Ansatz und richtet den Blick in erster Linie auf die einzelnen
Gemeinschaften und ihre correctiones. Dies bedeutet aber nicht, dass die durchaus
wichtigen Verbindungen zwischen den Klöstern und der Außenwelt einfach aus-
geblendet werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Beziehungen zwischen den
Klöstern meist auf den Hallingerschen Prinzipien der personellen Beziehungen und
dem Austausch von Consuetudines-Texten definiert wurden, soll nun vielmehr der
Blick geweitet und auf die Vielfalt dieser Beziehungen gerichtet werden. Es stellt
sich daher die Frage, welchen unterschiedlichsten Einflüssen eine Gemeinschaft
ausgesetzt war und welche Verbindungen sie mit ihrer Umwelt pflegte. Das Klos-
ter wird als Teil eines großen Netzes betrachtet, dessen Fäden nicht nur spirituelle,
sondern auch wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Bande knüpften.
Besonders die spirituellen und rechtlichen Bande werden in der Forschung bis
heute oft dazu verwendet, Klöster nach ihrer spirituellen Ausrichtung zu kategori-
sieren: Gemeinschaften, die in irgendeiner Weise mit den Consuetudines von Cluny
in Verbindung gebracht werden können, wurden und werden allzu schnell mit dem
Attribut »cluniazensisch« belegt, ohne zu hinterfragen, ob und inwieweit der ordo
cluniacensis in diesen Gemeinschaften überhaupt zum Tragen kam. Wollasch,
Schreiner und zuletzt Cochelin sind diesbezüglich aber zu wichtigen Erkennt-
nissen gelangt, wiesen sie doch darauf hin, dass die Gewohnheiten Bernhards von
Cluny in vielen Klöstern lediglich als Referenztexte Verwendung fanden.284
Eine Analyse der klösterlichen Überlieferung nach Aspekten, die als spezifisch
»cluniazensisch« bezeichnet werden können, scheitert aber bereits daran, zu defi-
282 J. Wollasch, Neue Methoden, S. 535-536: » >Das monarchische Prinzip der Filiatiom wurde postuliert,
auch wenn es historisch erst die Cistercienser waren, die jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches,
in dem Herr über die Klöster des Reiches der König und Kaiser gewesen ist, den Orden in der rechtlich
festgelegten Form von Filiationen (generatio, linea usw.) geschaffen haben, und die Frage geistig-geist-
lich entstandener Filiationen nicht ein vorgegebenes Prinzip, sondern ein Suchbild für die Erforschung
des mittelalterlichen Mönchtums darstellt [...].«
283 Zum verfassungsgeschichtlichen Ansatz vgl. kurz K. Hallinger, Neue Fragen; M. Margue, Aspects poli-
tiques de la »reforme« plädiert hingegen dafür, jede »Klosterreform« gesondert zu betrachten.
284 Siehe dazu oben S. 40-43.