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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0095
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1. Die Abtei von Sa int-Berti n/Sithiu von den Anfängen bis 1100 91

Abbatiat fällt schließlich auch der Tod Audomars, der seine letzte Ruhestätte in
der von ihm gegründeten Marienkirche finden sollte.367 Bertinus selbst habe sich,
so die Vita Bertini secunda, am Ende seines Lebens zurückgezogen und die Lei-
tung der Gemeinschaft erst einem gewissen Rigobert und dann Erlefried übergeben.
Rigobert war es schließlich auch, der eine weitere Kirche errichtete, die dem heiligen
Martin geweiht war und in der Eolgezeit die Hauptkirche der Gemeinschaft werden
sollte.368 Die Gemeinschaft von Sithiu verfügte somit über zwei große Kirchen: zum
einen die Martinskirche, in der Bertinus nach seinem Tod (710) begraben wurde,
und zum anderen die etwas höher gelegene Marienkirche, in der neben Audomar
viele weitere Bischöfe von Therouanne ihre letzte Ruhestätte finden sollten.369
Besondere Prominenz erlangte das Kloster im Jahr 751, als Childerich III., der
letzte Merowingerkönig, wohl in Saint-Bertin zum Mönch geschoren wurde, dort
bis zu seinem Tod 755 lebte und schließlich auch begraben wurde.370 Die Nähe
der Abtei zu den Karolingern wird vor allem zu Beginn des 9. Jahrhunderts mehr
als deutlich. Die meisten Äbte der Gemeinschaft standen in engem Kontakt zum
Hof oder entstammten selbst aus der kaiserlichen Lamilie.371 In diese Zeit fielen
wichtige Entscheidungen, die wegweisend für die weitere Geschichte der Abtei sein
sollten. Unter Abt Fridugis, dem einstigen Kanzler Ludwigs des Frommen, kamen
die »Reformen« von Aachen zum Tragen, da eine strikte räumliche Trennung der
Gemeinschaft in Kanoniker und Mönche vorgenommen wurde:372 Während die
Mönche ihren Dienst fortan am Grab des heiligen Bertinus taten, lebten die Kano-
niker am Grab des heiligen Audomar.373 374 In diesem Zusammenhang teilte Fridugis
auch den Besitz Sithius in eine mensa abbatialis und eine mensa conventualisV11'
Letztere wurde wiederum zwischen den Kanonikern und den Mönchen aufgeteilt.
367 Das Todesjahr Audomars ist nicht genau bekannt. Vgl. dazu W. Levison, Vitae Audomari, Bertini, Win-
noci, S. 730; K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 25.
368 Vita Sancti Bertini altera, c. 13, S. 592; Folcuin, Gesta, c. 12-16, S. 610-611.
369 Zu Saint-Omer als Grablege der Bischöfe von Therouanne vgl. N. Delanne-Logie und Y. M. Hilaire
(Hgg.), La cathedrale de Saint-Omer; K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 26.
370 Über Childerichs III. Dasein nach seiner Absetzung ist nahezu nichts bekannt, auch der Name des
Klosters wird nicht genannt. Erst in der Zeit Ludwigs des Frommen berichten die Gesta abbatum Fonta-
nellensium, c. 14, S. 43: »Et Hildericus rex [...] in monasterii Sancti Audomari quod dicitur Sidiu trusus
est.« Zur Quellenlage vgl. K. H. Krüger, Sithiu/Saint-Bertin, S. 71-80, der sehr plausibel machen kann,
dass Childerich tatsächlich in Sithiu begraben lag.
371 Einen guten Überblick liefert K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 26-30.
372 Zu Fridugis vgl. R. Bultot, Artikel »Fredegise«, Sp. 1145-1147; zur Trennung der Gemeinschaft in Ka-
noniker und Mönche vgl. B. Meijns, Chanoines et moines ä Saint-Omer.
373 Zur Abteikirche von Saint-Bertin während der Karolingerzeit vgl. G. Coolen, L’eglise carolingienne;
P. Heliot, Le clocher carolingien.
374 Zum Besitz des Klosters während des 9. Jahrhunderts sei auf das berühmte Polyptychon von Saint-
Bertin verwiesen, das durch einige Studien eingehend untersucht wurde: F. L. Ganshof, Le polyptyque
de l’abbaye de Saint-Bertin; Y. Marimoto, Problemes autour du polyptyque; E. Renard, Lectures et
relectures d’un polyptyque carolingien; zum Begriff der mensa vgl. Ders., Que decrit le polyptyque.
 
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