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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0096
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92 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

Da aber doppelt soviele Mönche als Kanoniker in Sithiu lebten, ging der Besitz der
mensa conventualis zu zwei Dritteln an die Mönche und zu einem Drittel an die
Kanoniker.375 Unter Abt Hilduin (866-877) wurde die Zahl der Mönche auf 60
begrenzt und die mensa conventualis erneut geteilt, um den Unterhalt der Diener
der Mönche zu sichern.376
Im Jahr 864 fiel die Abtei in den Herrschaftsbereich Graf Balduins I., der vor al-
lem mit der Abwehr der Normannen beauftragt war, aber letztlich das Kloster von
Saint-Bertin nicht ausreichend schützen konnte.377 Erst seinem Sohn Balduin II.
gelang es, die verlorengegangenen Gebiete zurückzuerobern, darunter das Ternois,
in dem Saint-Bertin gelegen war. Als schließlich Abt Radulf von Saint-Bertin starb,
übernahm Balduin II. als Laienabt die Leitung dieser und der übrigen großen Ab-
teien der Grafschaft.378
Mit den sogenannten »Reformen« Gerhards von Brogne Mitte des 10. Jahrhun-
derts verzichtete sein Nachfolger Arnulf I. auf den Laienabbatiat, sicherte sich aber
zugleich das Amt des Hochvogts über sämtliche Abteien der Grafschaft.379 Darü-
ber hinaus wurde nicht nur den Mönchen die Erlaubnis zur freien Abtswahl gege-
ben, sondern auch die Regula Benedicti eingeführt, ein Unterfangen, das durchaus
Schwierigkeiten barg und erst unter Abt Hildebrand von Erfolg gekrönt war.380
Mitte des 10. Jahrhunderts erhielt die Abtei von Saint-Bertin die Reliquien des
heiligen Silvanus, die Graf Arnulf I. zuvor aus der Kirche von Auchy entwendet
hatte.381 Dadurch gelangte die Gemeinschaft neben den heiligen Bertinus, Winnoc
und Folcuin zu einem weiteren Heiligen und konnte sich zu einem bedeutenden
Pilgerort entwickeln.382
375 Folcuin, Gesta, c. 47, S. 614: »Ac post haec totius abbatiae circuiens villas, et quia duplex extabat mo-
nachorum numerus, dupplam eis portionem villarum est largitus. Canonicis autem, quia pauciores erant
numero, simpla contra monachis est data portio.« K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 56-60.
376 Recueil des actes de Charles II le Chauve, Bd. 2, D 430, S. 458-463; R. van Caenegem, Le diplöme de
Charles le Chauve, S. 403-426.
377 Zur Entstehung der Grafschaft Flandern vgl. A. C. F. Koch, Het graafschap Vlaanderen; F. L. Ganshof,
La Flandre sous les premiers comtes. Zur Politik der karolingischen Herrscher in Bezug auf Saint-Bertin
und seine Abte vgl. K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 29-30.
378 Zu den Laienäbten vgl. F. J. Felten, Abte und Laienäbte; Ders., Laienäbte in der Karolingerzeit, S. 297-
432. Zur Gegend Flanderns vgl. A. M. Helvetius, L’abbatiat laique, S. 285-299.
379 Die politische Dimension dieser »Reform« beleuchten S. Vanderputten, B. Meijns, La nature des defor-
mes* de Gerard; siehe dazu auch oben S. 23-24.
380 Folcuin, Gesta, c. 108-109, S. 629-630; K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 32; vgl. dazu auch
W. Mohr, Studien zur Klosterreform; D. Misonne, La restauration monastique, S. 117-123; umfassend
zudem Ders., Saint-Gerard de Brogne; A. Dierkens, Abbayes et chapitres, S. 220-247.
381 Folcuin, Gesta, c. 108, S. 630.
382 S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 265 bemerkt, dass Silvanus spätestens um 980 als zweiter Pat-
ron neben dem heiligen Bertinus fungierte. Zum weniger bedeutenden heiligen Folcuin von Therouanne
vgl. dazu S. Vanderputten, T. Snijders, Stability and Transformation, die zeigen, dass sogar Pilger aus
England nach Saint-Bertin kamen.
 
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