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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0114
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110 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

Roberts Urkunde stimmt zwar dem Grundgedanken einer Übertragung Sithius
an Cluny zu, setzt aber eigene Akzente. Auffallend ist zunächst, dass der Graf im
Gegensatz zu seiner Gattin kein Wort über den Verzicht sämtlicher gräflicher Rech-
te verliert. Fernand Vercauteren nahm deswegen an, Robert habe sich durch das
Auslassen dieser Klausel zumindest implizit das Vogteirecht garantieren wollen und
damit die Entscheidung seiner Gattin ein Stück weit revidiert.471 Diesen Eindruck
vermitteln zudem die Bedingungen, die der Graf für eine Übertragung der Abtei an
Cluny stellte. Weshalb Robert so großen Wert darauf legte, Saint-Bertin den Status
einer Abtei zu garantieren, lässt sich nur vermuten. Während die ältere Forschung
darin eine gewisse Clunyfeindlichkeit oder -skepsis des Grafen sah,472 führt Mirko
Breitenstein eine andere Erklärung an. Er verweist auf die herausragende Rol-
le Saint-Bertins als Grablege des Grafenhauses und die besonderen Beziehungen
der Familie zu dieser Gemeinschaft.473 Eine Degradierung Saint-Bertins zu einem
cluniazensischen Priorat wäre demnach unvereinbar mit der Stellung gewesen, die
diese Gemeinschaft in der Grafschaft Flandern bislang eingenommen hatte. Der
Status einer Abtei diente somit dazu, »dem adligen Gebetsdenken einen repräsen-
tablen und angemessenen Rahmen zu sichern.«474
Neben dem Interesse des Grafen darf aber auch das Interesse der Gemeinschaft
selbst an ihrem Status als Abtei nicht vergessen werden.475 Vanderputten konnte
zeigen, dass Saint-Bertin innerhalb der flandrischen Klosterlandschaft selbst eine
bedeutende Rolle zukam.476 Eine Degradierung der Abtei zu einem cluniazenischen
Priorat hätte somit die Frage der Hierarchie und der gegenseitigen Verbindungen
zwischen den Klöstern sensibel gestört.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Absetzungsklausel. Während Clemen-
tias Urkunde genau festlegte, dass der Abt von Sithiu abgesetzt werden durfte, falls
In einem weiteren Brief, der wohl in direktem Zusammenhang zu ep. 248 steht, wendet sich Anselm
an Gräfin Clementia. Er lobt ihren Mann für den Verzicht auf die Investitur aber zugleich auch sie und
deutet damit an, dass dies vor allem auf ihren Einfluss zurückzuführen sei. Anselm von Canterbury,
Opera, Bd. 4, ep. 249, S. 159-160: »Realtum mihi est quosdam abbates in Flandria sic constitutos, ut
comes, vir vester, nullam eis manu sua daret investituram. Quod sicut non sine eius prudenti clementia,
ita non esse aestimo factum absque vestra clementi prudentia.«
471 Vgl. z.B. E Vercauteren, Actes des comtes de Flandre, S. 99, der bemerkt: »que le comte s’engage beau-
coup moins que sa femme ä l’egard de Cluny et se reserve tacitement l’exercice du droit d’avouerie.«
472 Vgl. dazu H. Sproemberg, Alvisus, S. 79-81, der ausgehend von einer Datierung der Urkunde auf das
Jahr 1106 vermutet, dass Robert versucht habe, die Übertragung Saint-Bertins an Cluny zu verzögern.
473 M. Breitenstein, De novitiis, S. 18-19 verweist darauf, dass Balduin III. (f 961), Richildis (f 986), Ar-
nulf III. (f 1071), Balduin VII. (f 1119), Karl der Gute (f 1127) und Wilhelm Clito (f 1164) ihre letzte
Ruhestätte in Saint-Bertin gefunden haben; vgl. dazu auch H. de Laplane, Saint-Bertin; K. H. Krüger,
Sithiu/Saint-Bertin, S. 71-80.
474 M. Breitenstein, De novitiis, S. 20.
475 Nicht die ganze Gemeinschaft sprach sich nach Simons Zeugnis gegen die correctio aus. Es ist anzuneh-
men, dass die Gruppe der älteren Mönche zu den Befürwortern gehörte.
476 S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism.
 
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