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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0120
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116 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

gestellt. In diesen wurde alles für ungültig erklärten, was zuvor Abt, Bischof und
Graf gegen die Freiheit Saint-Bertins erlassen hatten.495
Simons Bericht beleuchtet auf besondere Weise, wie einzelne Personen und Per-
sonengruppen zur Entstehung dieses Konfliktes beigetragen hatten. Dank einiger
Dokumente lässt sich das hier gewonnene Bild aber noch vervollständigen und die
entsprechenden Motive und Vorstellungen der Akteure besser fassen.
Zunächst gilt es, die Rolle des gräflichen Hofes genauer zu betrachten: Sproem-
berg sah einen kausalen Zusammenhang zwischen der Reise des Abtes von Cluny
nach Flandern und dem Tod Graf Roberts II. Pontius habe demzufolge die Schwä-
chung der flandrischen Herrschaft genutzt, um seine Rechte auf Saint-Bertin gel-
tend zu machen.496 In dieser Auffassung spiegelt sich freilich die Vorstellung, dass
die Regentschaft der Gräfin für ihren minderjährigen Sohn Balduin VII. eine Zeit
großer Schwäche gewesen sei. Therese Hemptinne hat inzwischen gezeigt, dass
sich Clementia während ihrer beiden Regentschaften durchaus als starke Gräfin
erwiesen hatte.497 Ob sich Pontius dessen aber bewusst war, lässt sich freilich nicht
beantworten.
Die neue Herrschaft war jedenfalls weit weniger kooperativ, als es sich Pontius
erdacht hatte. Die Regentschaft für Balduin VII. wurde nämlich nicht nur von sei-
ner Mutter Clementia ausgeübt, sondern auch von einigen Großen der Grafschaft.
Da Clementia sich in ihrer ersten Regentschaft, während der Abwesenheit ihres
Gatten auf dem ersten Kreuzzug, als große Unterstützerin Clunys erwiesen hatte,
ist anzunehmen, dass die ablehnende Haltung des gräflichen Hofs in erster Linie
vom Widerstand der Großen ausging. Simon deutet dies auch dadurch an, dass er
an anderer Stelle berichtet, dass Clementia, die er als anicula bezeichnet, zittern-
den Hauptes dazu gebracht worden sei, die Freiheit Saint-Bertins zu verteidigen.498
Der Widerstand des gräflichen Hofs tritt nun immer deutlicher zutage: Zu Beginn
reagierte er auf die Bitte des Pontius mit Ausflüchten. Als dieser dann aber das ihm
495 Simon, Gesta, II, c. 97, S. 654: »Quibus irritati, Lamberto abbati indulserunt litteras et privilegium,
quibus quae facta sunt sive ab eodem abbate sive ab episcopo sive a comite contra libertatem Sithiensis
aecclesiae omnia irrita fierent.«
496 H. Sproemberg, Alvisus, S. 106.
497 Th. de Hemptinne, Les epouses des croises; Dies., De gravinnen van Vlaanderen zeigt an einigen Bei-
spielen, dass Clementia durchaus eine eigenständige Herrschaft führte und unter anderem als einer der
fühesten bekannten Fälle ein eigenes Siegel verwendete. Zur Urkundepraxis verweist sie auf die leider
unveröffentlichte Dissertation von P. Adair, Ego et uxor mea, die sich mit der Regentschaft Clemen-
tias während des ersten Kreuzzugs befasst; einen Eindruck von diesem Werk wird vermittelt in Dies.,
Flemish Comital Family and the Crusades. Zur eigenen Münzprägung vgl. A. Haeck, De Munten van
Clementia van Boergondie.
498 Simon, Gesta, II, c. 92, S. 653: »Turbatur tota Flandria, et ad libertatem defendendam Sithiensem anicula
et trementi capite animatur.«
 
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