118 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
diesem Brief nimmt Johannes nun aber eine völlig konträre Position ein. In der
Forschung wurde diese Kehrtwende sicherlich richtig dahingehend interpretiert,
dass Johannes nun auf Druck des Grafenhauses und der Großen zu diesem Handeln
gedrängt wurde. Diese wollten sich offenbar vollkommen von der gut zehn Jahre
zuvor getätigten Übertragung Saint-Bertins an Cluny distanzieren. Die Strategie,
die Johannes dabei verfolgte, war mehr als raffiniert, galt es doch diese deutliche
Kehrtwende zu begründen und dabei die Glaubwürdigkeit seiner Person und des
flandrischen Hofs nicht zu gefährden: So stellt er die Übertragung Saint-Bertins als
ein äußerst frommes und erfreuliches Ereignis dar, das aber kirchenrechtlich jeg-
licher Grundlage entbehrte. Zum einen deutete er an, dass die Übertragung selbst
nicht formgerecht verlaufen sei, da sie über die Köpfe der Mönche von Saint-Bertin
und der Kanoniker von Therouanne hinweg entschieden wurde. Zum anderen be-
tonte er, dass auch auf Seiten der Großen und des Grafen die Abtei stets als frei
angesehen wurde, was schließlich durch die Freiheitsprivilegien der Päpste seine
Bestätigung fand. Die Existenz dieser Privilegien diente Johannes schließlich als
wichtigstes Argument.
Dass Johannes mit seinem Brief an Paschalis II. Erfolg hatte, lag sicherlich nicht
nur an seinen juristischen Winkelzügen, sondern auch an der anticluniazensischen
Haltung des Papstes.502
Das Antwortschreiben des Papstes ist ebenfalls in Simons Chronik überliefert
und datiert vom 20. März 1112. Es bestätigt die in den Urkunden Papst Victors II.
und Urbans II. zugestandene Freiheit von Saint-Bertin unter Berücksichtigung der
Rechte des Ortsbischofs.503 Paschalis fügt hinzu, dass die Übertragung Saint-Bertins
an Cluny, die einst wenig klug und bedacht von Bischof Johannes, dem Grafen
von Flandern und Abt Lambert vorgenommen worden war, dem Kloster keinerlei
Schaden verursachen solle. Solange dort ein frommes Leben - die Rede ist von der
monastica religio - vorzufinden sei, sollten dieser Ort und ihr Abt frei bleiben.504
Wie unumstößlich diese Entscheidung war und wie schlecht das Verhältnis Clunys
zu Rom, veranschaulicht ein wenig später verfasster Brief Paschalis’ II. an Pontius
502 H. Sproemberg, Alvisus, S. 108 ist der Meinung, der Brief sei genau auf die Stimmung des Papstes be-
rechnet gewesen.
503 B. Guerard, II, ep. 42, S. 253: »Tarn ex fraternitatis vestre litteris, quam ex predecessorum meorum sancte
memorie Victoris et Urbani privilegiis, cognovimus atque persepximus beati Bertini monasterium, usque
ad promotionis tue tempora, in sue libertatis genio continue permansisse, salve jure solius Taruanensis
ecclesie.«
504 B. Guerard, II, ep. 42, S. 253: »Unde nobis quam fratribus nostris, dictante justicia, visum est, ut, si quid
a te vel a Flandrens! comite, seu ab ejusdem loci abbate, minus provide minusque rationabiliter gestum
est, nullum propter hoc detrimentum monasterio ingeratur. Nos igitur locum ipsum, quamdiu monastice
religionis vigere claruerit, et abbatem loci in sua libertate et immunitate permanere decernimus.«
diesem Brief nimmt Johannes nun aber eine völlig konträre Position ein. In der
Forschung wurde diese Kehrtwende sicherlich richtig dahingehend interpretiert,
dass Johannes nun auf Druck des Grafenhauses und der Großen zu diesem Handeln
gedrängt wurde. Diese wollten sich offenbar vollkommen von der gut zehn Jahre
zuvor getätigten Übertragung Saint-Bertins an Cluny distanzieren. Die Strategie,
die Johannes dabei verfolgte, war mehr als raffiniert, galt es doch diese deutliche
Kehrtwende zu begründen und dabei die Glaubwürdigkeit seiner Person und des
flandrischen Hofs nicht zu gefährden: So stellt er die Übertragung Saint-Bertins als
ein äußerst frommes und erfreuliches Ereignis dar, das aber kirchenrechtlich jeg-
licher Grundlage entbehrte. Zum einen deutete er an, dass die Übertragung selbst
nicht formgerecht verlaufen sei, da sie über die Köpfe der Mönche von Saint-Bertin
und der Kanoniker von Therouanne hinweg entschieden wurde. Zum anderen be-
tonte er, dass auch auf Seiten der Großen und des Grafen die Abtei stets als frei
angesehen wurde, was schließlich durch die Freiheitsprivilegien der Päpste seine
Bestätigung fand. Die Existenz dieser Privilegien diente Johannes schließlich als
wichtigstes Argument.
Dass Johannes mit seinem Brief an Paschalis II. Erfolg hatte, lag sicherlich nicht
nur an seinen juristischen Winkelzügen, sondern auch an der anticluniazensischen
Haltung des Papstes.502
Das Antwortschreiben des Papstes ist ebenfalls in Simons Chronik überliefert
und datiert vom 20. März 1112. Es bestätigt die in den Urkunden Papst Victors II.
und Urbans II. zugestandene Freiheit von Saint-Bertin unter Berücksichtigung der
Rechte des Ortsbischofs.503 Paschalis fügt hinzu, dass die Übertragung Saint-Bertins
an Cluny, die einst wenig klug und bedacht von Bischof Johannes, dem Grafen
von Flandern und Abt Lambert vorgenommen worden war, dem Kloster keinerlei
Schaden verursachen solle. Solange dort ein frommes Leben - die Rede ist von der
monastica religio - vorzufinden sei, sollten dieser Ort und ihr Abt frei bleiben.504
Wie unumstößlich diese Entscheidung war und wie schlecht das Verhältnis Clunys
zu Rom, veranschaulicht ein wenig später verfasster Brief Paschalis’ II. an Pontius
502 H. Sproemberg, Alvisus, S. 108 ist der Meinung, der Brief sei genau auf die Stimmung des Papstes be-
rechnet gewesen.
503 B. Guerard, II, ep. 42, S. 253: »Tarn ex fraternitatis vestre litteris, quam ex predecessorum meorum sancte
memorie Victoris et Urbani privilegiis, cognovimus atque persepximus beati Bertini monasterium, usque
ad promotionis tue tempora, in sue libertatis genio continue permansisse, salve jure solius Taruanensis
ecclesie.«
504 B. Guerard, II, ep. 42, S. 253: »Unde nobis quam fratribus nostris, dictante justicia, visum est, ut, si quid
a te vel a Flandrens! comite, seu ab ejusdem loci abbate, minus provide minusque rationabiliter gestum
est, nullum propter hoc detrimentum monasterio ingeratur. Nos igitur locum ipsum, quamdiu monastice
religionis vigere claruerit, et abbatem loci in sua libertate et immunitate permanere decernimus.«