120 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
Folge an die damit verbunden Verpflichtungen zu halten.509 Erst mit dem Besuch
des Pontius trafen die beiden unterschiedlichen Rechtsauffassungen aufeinander.
Dass die flandrische Partei sich Cluny völlig verweigerte, hatte aber, wie der
Brief des Bischofs Johannes zeigt, auch noch ganz andere Gründe: Wenn er nämlich
berichtet, die Großen und der Graf hätten befürchtet, Pontius habe über die weit-
läufigen Ländereien der Abtei verfügen wollen, wird doch mehr als deutlich, dass
hier auch herrschaftspolitische und wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielten. Da
der Abt von Saint-Bertin, wie die von Simon überlieferten Urkunden zeigen, Land
und Ämter an zahlreiche Adlige und Ritter verliehen hatte, wird die Sorge der Gro-
ßen durchaus verständlich.510 Als abbas abbatum hätte Pontius, so die Befürchtung,
Zugriff auf diese Besitzungen und Ämter gehabt und die Möglichkeit besessen, in
die bestehenden Herrschaftsstrukturen einzugreifen, was natürlich weder im In-
teresse des Grafenhauses noch der betroffenen Großen war. Im Gegensatz zu Abt
Lambert war Pontius nämlich keinesfalls mit den regionalen oder lokalen Gepflo-
genheiten vertraut. Es verwundert daher wenig, dass nun am gräflichen Hof alle
Möglichkeiten ausgespielt wurden, um eben diesen Besuch des Abtes von Cluny
zu vermeiden.
Eine besondere Rolle in diesem Konflikt kommt aber auch Abt Lambert zu.
Sproemberg sprach ihm wegen seines ständigen Hin- und Herlavierens zwischen
dem gräflichen Hof, dem Abt von Cluny und Rom einen schwachen Charakter
zu.511 In der Tat fällt auf, dass Lambert mehrmals je nach Lage der Dinge seine Po-
sition änderte. So wandte er sich zunächst an den gräflichen Hof. Als von dort nur
eine zögerliche Reaktion kam, beugte er sich dem Willen des Pontius. Simon erklärt
diese Haltung in seinem Bericht wie folgt: Lambert habe nämlich erkannt, dass aus
seiner Angelegenheit ein weit größerer Konflikt erwachsen könnte, der sich um die
Freiheit von Saint-Bertin drehte. Diese sei seiner Meinung nach aber unumstrit-
ten.512 Er unterschied also zwischen den Verpflichtungen, die sich ihm durch die in
Cluny abgelegte Profess ergaben, und dem Status der Abtei. Indem er sich fortan
dem Willen des Abtes von Cluny beugen wollte, glaubte er, größeren Schaden von
der Abtei fernhalten zu können. Für Lambert bedeutete seine abgelegte Profess
also nicht automatisch die Abhängigkeit der ganzen Abtei von Cluny. Er war sich
aber durchaus bewusst, dass eben diese Sichtweise nicht unumstritten war. Deshalb
wollte er sich nun seiner Profess entsprechend verhalten und dem Abt von Cluny
509 Vgl. dazu Hermann, Liber, c. 79, S. 134.
510 Siehe dazu unten S. 152-171.
511 H. Sproemberg, Alvisus, S. 83.
512 Simon, Gesta, II, c. 91, S. 653. Dass die Freiheit Saint-Bertins unumstritten sei, spiegelt freilich die Mei-
nung der bertinianischen Mönche wider.
Folge an die damit verbunden Verpflichtungen zu halten.509 Erst mit dem Besuch
des Pontius trafen die beiden unterschiedlichen Rechtsauffassungen aufeinander.
Dass die flandrische Partei sich Cluny völlig verweigerte, hatte aber, wie der
Brief des Bischofs Johannes zeigt, auch noch ganz andere Gründe: Wenn er nämlich
berichtet, die Großen und der Graf hätten befürchtet, Pontius habe über die weit-
läufigen Ländereien der Abtei verfügen wollen, wird doch mehr als deutlich, dass
hier auch herrschaftspolitische und wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielten. Da
der Abt von Saint-Bertin, wie die von Simon überlieferten Urkunden zeigen, Land
und Ämter an zahlreiche Adlige und Ritter verliehen hatte, wird die Sorge der Gro-
ßen durchaus verständlich.510 Als abbas abbatum hätte Pontius, so die Befürchtung,
Zugriff auf diese Besitzungen und Ämter gehabt und die Möglichkeit besessen, in
die bestehenden Herrschaftsstrukturen einzugreifen, was natürlich weder im In-
teresse des Grafenhauses noch der betroffenen Großen war. Im Gegensatz zu Abt
Lambert war Pontius nämlich keinesfalls mit den regionalen oder lokalen Gepflo-
genheiten vertraut. Es verwundert daher wenig, dass nun am gräflichen Hof alle
Möglichkeiten ausgespielt wurden, um eben diesen Besuch des Abtes von Cluny
zu vermeiden.
Eine besondere Rolle in diesem Konflikt kommt aber auch Abt Lambert zu.
Sproemberg sprach ihm wegen seines ständigen Hin- und Herlavierens zwischen
dem gräflichen Hof, dem Abt von Cluny und Rom einen schwachen Charakter
zu.511 In der Tat fällt auf, dass Lambert mehrmals je nach Lage der Dinge seine Po-
sition änderte. So wandte er sich zunächst an den gräflichen Hof. Als von dort nur
eine zögerliche Reaktion kam, beugte er sich dem Willen des Pontius. Simon erklärt
diese Haltung in seinem Bericht wie folgt: Lambert habe nämlich erkannt, dass aus
seiner Angelegenheit ein weit größerer Konflikt erwachsen könnte, der sich um die
Freiheit von Saint-Bertin drehte. Diese sei seiner Meinung nach aber unumstrit-
ten.512 Er unterschied also zwischen den Verpflichtungen, die sich ihm durch die in
Cluny abgelegte Profess ergaben, und dem Status der Abtei. Indem er sich fortan
dem Willen des Abtes von Cluny beugen wollte, glaubte er, größeren Schaden von
der Abtei fernhalten zu können. Für Lambert bedeutete seine abgelegte Profess
also nicht automatisch die Abhängigkeit der ganzen Abtei von Cluny. Er war sich
aber durchaus bewusst, dass eben diese Sichtweise nicht unumstritten war. Deshalb
wollte er sich nun seiner Profess entsprechend verhalten und dem Abt von Cluny
509 Vgl. dazu Hermann, Liber, c. 79, S. 134.
510 Siehe dazu unten S. 152-171.
511 H. Sproemberg, Alvisus, S. 83.
512 Simon, Gesta, II, c. 91, S. 653. Dass die Freiheit Saint-Bertins unumstritten sei, spiegelt freilich die Mei-
nung der bertinianischen Mönche wider.