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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0126
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122 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

von Saint-Bertin mit Sicherheit auch noch von anderen Faktoren und Akteuren
abhängig gewesen sein.517
Wahrscheinlicher ist es, dass Lambert ein weit weniger striktes Verständnis der
Profess hatte und für sich einen größeren Handlungs- und Entscheidungsspielraum
annahm. Dies galt umso mehr, solange der Abt von Cluny in weiter Ferne war. Als
dieser sich nun aber Sithiu näherte, sollte sich dies ändern. Während die Nachricht
vom bevorstehenden Besuch zunächst bei ihm und den bertinianischen Mönchen
eher Unsicherheit hervorrief, trugen die Gerüchte der Mönche und insbesondere
der in Sithiu lebenden Cluniazenser dazu bei, dass sich diese in pure Angst um-
wandelte. Der Hinweis, Pontius komme nach Saint-Bertin, um dort Hof bezie-
hungsweise Gericht {curia celebrarej zu halten und als Abt der Äbte zu fungieren,
liefert den Grund für Lamberts Angst: Offensichtlich fürchtete er sich davor, dem
Abt von Cluny Rechenschaft über das Getane ablegen zu müssen. Was Lambert
sich zu Schulden hätte kommen lassen können, geht aus Simons Gesta nicht direkt
hervor. Anzunehmen ist, dass Lambert, wie der Fall Odos von Auchy-les-Moines
gezeigt hatte, auch weiterhin ohne Rücksprache mit dem Abt von Cluny zu halten,
Cluniazenser mit der correctio anderer Klöster betraut hatte.518
Die Angst Lamberts vor einem Besuch des Pontius in Sithiu könnte nicht zuletzt
auch darin begründet gelegen haben, dass die dortige Lebensweise nur bedingt dem
ordo cluniacensis ähnelte. Ein Besuch vor Ort hätte dem Abt von Cluny etwaige
Abweichungen und Nichtbeachtungen des Ordos deutlich vor Augen geführt. In-
teressant ist zudem, dass gerade die Cluniazenser, die in Sithiu voller Freude dem
Besuch des Pontius entgegenfieberten, hervorhoben, dass er in Sithiu Hof halten
werde, dass Lambert in seiner Gegenwart jegliche Macht verliere und dass Pon-
tius zum Abt ernennen könne, wen er wolle. Eine derartige Reaktion lässt sich
nur erklären, wenn die in Sithiu lebenden Cluniazenser selbst unzufrieden mit der
Situation in der Gemeinschaft waren und sich nicht gegen den Abt und seine Inte-
ressen durchsetzen konnten. Die Gerüchte, die sie nach Simons Zeugnis unter den
Mönchen streuten, gaben letztlich nichts anderes wieder als jene Bestimmungen, die
1099/1100 zwischen dem Grafenhaus und der Abtei von Cluny vereinbart worden
waren. Der Abt von Sithiu hatte demnach bekanntlich ein Cluniazenser zu sein, um
dem Ordo und der religio der Gemeinschaft Beständigkeit zu verleihen - und er
konnte jederzeit vom Abt von Cluny ein- oder abgesetzt werden.519 Es erstaunt da-
her umso mehr, dass Abt Lambert und die bertinianischen Mönche darüber derart
517 Die Entscheidung Lamberts wird beispielsweise auch von den Interessen des Grafen abhängig gewesen
sein.
518 Simon zählt die von Lambert initiierten correctiones auf; siehe dazu unten S. 178-192.
519 Siehe dazu oben S. 101-111.
 
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