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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0134
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130 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

vor Fälschungen zurück.553 Für wie unsicher selbst die Zeitgenossen diese Methode
hielten, wird an Abt Leonius deutlich, der die zurückerlangte Freiheit Sithius von
jedem neuen Papst sofort bestätigen ließ.
3.2. Veränderungen in der Lebensweise
3.2.1. Die »cluniazensische« Lebensweise
Einer der zentralen Ausgangspunkte der correctio Saint-Bertins war zweifelsohne
die Wiederherstellung des klösterlichen Lebens nach der Regel. Nach Simons Zeug-
nis gab es in der Gemeinschaft nämlich große Missstände. Während die meisten
zeitgenössischen monastischen Autoren in Flandern sich damit begnügten, allge-
mein auf den desolaten inneren Zustand ihrer Gemeinschaft zu verweisen, gehö-
ren Simons Gesta zu den wenigen Texten, die diesbezüglich etwas mehr ins Detail
gehen.554
So berichtet er, dass Abt Lambert dem allzu weltlichen Leben seiner Mönche
ein Ende bereiten wollte und ihre Verfehlungen offen anprangerte. Er verbot ihnen,
künftig Eigenbesitz zu haben und das übrig gebliebene Essen, das eigentlich für
die Speisung der Armen vorgesehen war, ihren Dienern zu geben. Beinahe jeder
Bruder habe nämlich über seinen eigenen Diener verfügt. Die Verfehlungen der
Mönche bestanden, so Simon zusammenfassend, darin, Eigenbesitz zu haben, ohne
Erlaubnis zu geben und zu nehmen und sich gewissen Werken der Zügellosigkeit
hinzugeben.555
Diese Missstände sollten nicht einfach als Topoi abgetan werden, weil sie nichts
anderes umschreiben als die Abkehr von grundlegenden monastischen Idealen, wie
freiwilliger Armut, caritas, Weltflucht, Gehorsam und Keuschheit. Gerade in einer
so bedeutenden gräflichen Abtei wie Saint-Bertin, die in intensivem Kontakt mit
der Außenwelt stand und in direkter Nachbarschaft zu Saint-Omer, einer in jener
Zeit wirtschaftlich aufstrebenden Siedlung lag, ist eine zunehmende Verweltlichung
des monastischen Lebens mehr als naheliegend und plausibel.

553 L. Morelle, Par-delä le vrai et le faux.
554 Zu der stereotypen Darstellung von correctiones siehe oben Anm. 5.
555 Simon, Gesta, II, c. 62, S. 648: »[...] interdixit, ne quilibet eorum quid proprietatis haberet vel aliquid
de reliquiis ciborum, quae ad elemosinam pertinebant, servientibus daret. Habebant enim pene singuli
sibi servientes, quibus dabant quae pauperibus debebantur. Peculiare enim habere, dare sine licentia et
accipere vel caeteris dissolutionis operibus incumbere, penes eos tune temporis vix alicuius erat negli-
gentiae.«
 
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