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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0161
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3. Die Veränderungen durch die correctio | 157

Die Kompilation des 12. Jahrhunderts liefert zudem in einigen Punkten ein Er-
scheinungsbild, das von dem der ursprünglichen Gesta mit ziemlicher Sicherheit
verschieden ist. In seinem Prolog zum ersten Buch der Gesta weist Simon darauf
hin, dass ihm die Gesta Folcuins als Vorbild für sein Werk gedient hatten.688 Ihr
besonderes Charakteristikum ist die Mischung von Erzählung und Dokumenta-
tion. Eben dies lässt sich im ersten Buch Simons in der Tat feststellen: Nach dem
ausdrücklichen Wunsch seines Abtes habe er die Urkunden nicht in einem eigenen
Band zusammengestellt, sondern in den Text eingefügt.689
Die Bollandisten wissen noch von einer Handschrift zu berichten, in der das
erste Buch der Gesta Simons und zwei weitere Bücher mit den Zins- und Abgaben-
listen für zwei Besitzungen des Klosters überliefert wurden. Im Anschluss daran
habe sich der Bibliothekskatalog und schließlich eine Genealogie der französischen
Könige bis zu Robert I. befunden.690 Offenbar existierte also vor der Französischen
Revolution noch eine Handschrift im Klosterarchiv, die der ursprünglichen Form
des ersten Buchs der Gesta Simons sehr nahe war, wenn nicht sogar das Original
darstellte. Diese Zusätze, die das Erscheinungsbild von Simons Gesta tatsächlich
in die Nähe der Gesta Folcuins rücken,691 wurden bei der noch im 12. Jahrhundert
vorgenommenen Kompilation offensichtlich bewusst ausgelassen, um das Buch I
lückenlos mit den Büchern II und III zu verbinden.
Nach Berkhofer repräsentieren die Gesta abbatum Folcuins aus dem 10. Jahr-
hundert die traditionelle Auffassung, dass das Klostergut als Erbe des Heiligen
anzusehen sei, das man schützen müsse und das nicht verändert werden dürfe. Die
Handschrift selbst sei im Klosterschatz aufbewahrt worden, was ihre Symbolik
noch unterstreiche.692 Die Gesta Simons griffen eben diese traditionelle Sichtwei-
se formal auf. Der Chronist schuf demnach keine Schrift, die darauf abzielte, die
Verwaltung der Güter und Einkünfte zu unterstützen, sondern lediglich deren Be-
688 Simon, Gesta, S. 635: »imitans quendam loci huius coenobitam Folquinum nomine, qui iussu sui abbatis
penen omnium huius coenobii rectorum a tempore sanctissimi patris Bertini invicem sibi succedentium
usque ad tempus domni Adalolfi, qui in cathalogo 28. ponitur, compendiose Gesta cartasque digessit.«
689 Simon, Gesta, S. 635: »Quorum etiam gestis breviter summatimque descriptis, kartas nichillominus se-
peratim in uno volumine a mea exiguitate describi voluistis [...].«
690 A. Berthod, Notice du cartulaire de Simon, S. 227-230 ; vgl. auch Histoire litteraire de la France, Bd. 13,
S. 80-81, die bemerkt »Les Bollandistes ont egalement parle de cette Chronique, d’apres un savant re-
ligieux bibliothecaire de l’abbaye Saint-Bertin, dom de Clery, sous la date du 5 septembre. Le travail de
Simon etait divise en trente-huit chapitres, suivis de deux livres de eens, qui regardaient deux terres de
l’abbaye, et oü se voit le detail des rentes et redevances auxquelles les vassaux etaient assujetis. L’auteur y
ajouta le catalogue des livres qui, de son temps, composaient la bibliotheque de Saint-Bertin, suivi d’une
genealogie tres-succincte de nos rois des deux premieres races; eile finit au roi Robert.«
691 Folcuin liefert am Ende seines Textes, vergleichbar mit der Beschreibung der Bollandisten, ein Verzeich-
nis des Klosterschatzes und eine Genealogie; vgl. dazu Folcuin Gesta, III, S. 634. In der heutigen Form
ist weder der Bibliothekskatalog noch die Genealogie erhalten.
692 R. F. Berkhofer, Day of Reckoning, S. 28-29.
 
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