164 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
Obgleich in der Urkunde nicht explizit die Rede davon ist, ähnelt das beschriebene
Prozedere doch sehr stark dem Ablegen eines Eides.721 Die einzelnen Punkte, die
Lambert vor der Versammlung versprach, sind in zweierlei Hinsicht aufschluss-
reich: Zum einen spiegeln sich in ihnen die Vergehen des Ministerialen Odos wider.
Zum anderen führen sie vor Augen, wie sich Abt und Mönche einen idealen Dienst-
mann des Klosters vorstellten. Im Vordergrund stand dabei zunächst der finan-
zielle Aspekt. Der Ministeriale durfte weder Einkünfte einbehalten noch Abgaben
erheben oder Hörige des Klosters für sich in Anspruch nehmen. Eng mit diesen
Forderungen verbunden war die Anerkennung der Autorität des Abtes. Lambert
durfte nichts gegen den Willen und den Entschluss seines Herrn oder dessen Re-
präsentanten, des praepositus von Poperingem, unternehmen. Eben diese Aspekte
waren unter dem Ministerialen Odo in den Hintergrund getreten.
Da sie die Hauptpfeiler der Herrschaft des Klosters über Poperingem darstell-
ten, liegt die Vermutung nahe, dass Odo mit seinem Verhalten dort eine eigene
Herrschaft aufbauen wollte. Damit spiegelt der Fall derer von Reningelst eine Ent-
wicklung wider, die in jener Zeit äußerst typisch für die aufstrebenden Ministe-
rialenfamilien war.722 Zum Herrschaftsausbau Lamberts eignete sich offensichtlich
weniger ein feodum in terris als die Ausübung eines Amtes, wie jenes von Poperin-
gem, das beispielsweise auch Aufgaben in der Rechtsprechung, Verwaltung und im
militärischen Bereich mit sich brachte.723 Umso wichtiger war es für den Abt von
Saint-Bertin, eine solch ambitionierte Ministerialenfamilie in ihre Schranken zu ver-
weisen. Statt jedoch das Amt von Poperingem einfach einem anderen Ministerialen
zu übertragen, gab es Abt Lambert Odos Sohn zurück. Damit gelang es ihm, diese
Familie wieder stärker an das Kloster zu binden, ihre Rechte und Pflichten neu zu
definieren.724 Dass Lambert von Reningelst Wert auf Kontinuität legte, zeigt sich
dadurch, dass er tatsächlich zum Einlenken bereit war und den »Eid« ablegte. Die
Übergabe des Amts an eine andere Familie hätte für den Abt weit weniger Sicher-
heit geboten. Abt und Ministeriale waren somit aufeinander angewiesen.
721 In der Forschung spricht man daher von einer Art Amtseid Lamberts von Reningelst, vgl. dazu
R. E Berkhofer, Day of Reckoning, S. 137.
722 R. E Berkhofer, Day of Reckoning, S. 137: »a ripe location for the rise of a new pseudo-lord.« Zum
Aufstieg der Ministerialen vgl. J. M. van Winter, Adel, ministerialiteit een ridderschap; zu den möglichen
Folgen und Reaktionen darauf S. Vanderputten, Fulcard’s Pigsty und zum Phänomen des »pseudo-
lords« auf den verschiedenen sozialen Ebenen F. Mazel, Monachisme et aristocratie, S. 53-59.
723 S. Vanderputten, A Compromised Inheritance, S. 243-244 weist darauf hin, dass es in der Grafschaft
von Hesdin zwei Gruppen von Herren gegeben habe: Während die einen ihren Wohlstand großen Län-
dereien und Landlehen verdankten, mussten andere mit Einkünfte aus einer Vielzahl von Rechten, Ab-
gaben und Zöllen vorliebnehmen, was weit weniger rentabel und anstrebenswert gewesen sei.
724 S. Vanderputten, Fulcard’s Pigsty.
Obgleich in der Urkunde nicht explizit die Rede davon ist, ähnelt das beschriebene
Prozedere doch sehr stark dem Ablegen eines Eides.721 Die einzelnen Punkte, die
Lambert vor der Versammlung versprach, sind in zweierlei Hinsicht aufschluss-
reich: Zum einen spiegeln sich in ihnen die Vergehen des Ministerialen Odos wider.
Zum anderen führen sie vor Augen, wie sich Abt und Mönche einen idealen Dienst-
mann des Klosters vorstellten. Im Vordergrund stand dabei zunächst der finan-
zielle Aspekt. Der Ministeriale durfte weder Einkünfte einbehalten noch Abgaben
erheben oder Hörige des Klosters für sich in Anspruch nehmen. Eng mit diesen
Forderungen verbunden war die Anerkennung der Autorität des Abtes. Lambert
durfte nichts gegen den Willen und den Entschluss seines Herrn oder dessen Re-
präsentanten, des praepositus von Poperingem, unternehmen. Eben diese Aspekte
waren unter dem Ministerialen Odo in den Hintergrund getreten.
Da sie die Hauptpfeiler der Herrschaft des Klosters über Poperingem darstell-
ten, liegt die Vermutung nahe, dass Odo mit seinem Verhalten dort eine eigene
Herrschaft aufbauen wollte. Damit spiegelt der Fall derer von Reningelst eine Ent-
wicklung wider, die in jener Zeit äußerst typisch für die aufstrebenden Ministe-
rialenfamilien war.722 Zum Herrschaftsausbau Lamberts eignete sich offensichtlich
weniger ein feodum in terris als die Ausübung eines Amtes, wie jenes von Poperin-
gem, das beispielsweise auch Aufgaben in der Rechtsprechung, Verwaltung und im
militärischen Bereich mit sich brachte.723 Umso wichtiger war es für den Abt von
Saint-Bertin, eine solch ambitionierte Ministerialenfamilie in ihre Schranken zu ver-
weisen. Statt jedoch das Amt von Poperingem einfach einem anderen Ministerialen
zu übertragen, gab es Abt Lambert Odos Sohn zurück. Damit gelang es ihm, diese
Familie wieder stärker an das Kloster zu binden, ihre Rechte und Pflichten neu zu
definieren.724 Dass Lambert von Reningelst Wert auf Kontinuität legte, zeigt sich
dadurch, dass er tatsächlich zum Einlenken bereit war und den »Eid« ablegte. Die
Übergabe des Amts an eine andere Familie hätte für den Abt weit weniger Sicher-
heit geboten. Abt und Ministeriale waren somit aufeinander angewiesen.
721 In der Forschung spricht man daher von einer Art Amtseid Lamberts von Reningelst, vgl. dazu
R. E Berkhofer, Day of Reckoning, S. 137.
722 R. E Berkhofer, Day of Reckoning, S. 137: »a ripe location for the rise of a new pseudo-lord.« Zum
Aufstieg der Ministerialen vgl. J. M. van Winter, Adel, ministerialiteit een ridderschap; zu den möglichen
Folgen und Reaktionen darauf S. Vanderputten, Fulcard’s Pigsty und zum Phänomen des »pseudo-
lords« auf den verschiedenen sozialen Ebenen F. Mazel, Monachisme et aristocratie, S. 53-59.
723 S. Vanderputten, A Compromised Inheritance, S. 243-244 weist darauf hin, dass es in der Grafschaft
von Hesdin zwei Gruppen von Herren gegeben habe: Während die einen ihren Wohlstand großen Län-
dereien und Landlehen verdankten, mussten andere mit Einkünfte aus einer Vielzahl von Rechten, Ab-
gaben und Zöllen vorliebnehmen, was weit weniger rentabel und anstrebenswert gewesen sei.
724 S. Vanderputten, Fulcard’s Pigsty.