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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0198
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194 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

nicht unwichtige Erklärung, nämlich den heftigen Widerstand einiger Mönche, die
letztlich selbst nach der Abtswürde strebten.
Zieht man das zweite Buch der Gesta hinzu, in dem schließlich der Abbatiat
Lamberts thematisiert wird, finden sich mindestens zwei Situationen, auf die der
Prolog hier anspielen könnte. Zunächst könnte Simon auf den Widerstand jener
Mönche verweisen, die Lambert, nachdem er die Profess in Cluny abgelegt hatte,
nicht mehr als Abt anerkennen wollten.831 In diesem Palle wäre das erste Buch der
Gesta im unmittelbaren Eindruck der correctio von 1100/01 entstanden. Die zweite
mögliche Situation, auf die sich diese Passage beziehen könnte, wäre die Erkran-
kung Lamberts 1123, die in der Gemeinschaft die Frage nach einem Nachfolger
aufwarf und bei einigen Mönchen Begehrlichkeiten weckte.832 Bedenkt man aber,
dass Simon selbst sehr stark in diese Angelegenheit verwickelt war und im ersten
Buch, im Gegensatz zum zweiten nicht im Entferntesten Anspielungen darauf zu
finden sind, ist eine Datierung auf die Zeit um 1123 eher unwahrscheinlich.
Morelle kommt in seiner Studie zu dem Schluss, dass der terminus ante quem
das Jahr 1116 sei, da die gesamte Konzeption des ersten Buchs in die Frühzeit der
correctio Lamberts verweise.833 Dieser Eindruck ist, wie noch zu zeigen sein wird,
durchaus richtig und spricht für eine Datierung schon in die Zeit um 1100. Damit
stellt das erste Buch der Gesta gleichsam einen Überrest der correctio Saint-Bertins
dar.834

831 Diese Mönche wurden, wie Simon im zweiten Buch berichtet, aus der Gemeinschaft entfernt; siehe dazu
oben S. 107.
832 Simon, Gesta, II, c. 106, S. 657; dass Simon hier auf die Zeit der Krankheit Lamberts anspielt, wird
auch aus seiner Anrede an Lambert ersichtlich, in der er diesem Heil an Körper und Seele wünscht,
vgl. Simon, Gesta, Prologus, S. 635: »Omni dilectionis gratia et gratiae spiritualis efficatia predicando et
amando patri domno Lamberto abbati suus Simon, suorum omnium minimus, quicquid saluti corporis
et animae coram summo Opifice commodum est et utile.«
833 Diese Datierung wurde übernommen aus S. Vanderputten, Monks, Knights, and the Enactment, S. 585,
der in Anm. 18 auf die unveröffentlichte Habilitationsschrift von L. Morelle, Ecrit diplomatique et
archives monastiques, S. 232-234 verweist. Diese Studie war mir nicht zugänglich, weshalb Morelles
Argumentation für die Datierung nicht nachgezeichnet werden kann. S. Vanderputten bemerkt ledig-
lich: »Morelle [...] who argues in favor of dating the conception of the first part of the chronicle early
in Lambert’s abbacy and certainly before 1116.« Für das Jahr 1116 als terminus ante quem dürfte die
Tatsache sprechen, dass der Traktat De moribus Lamberti auf die Zeit zwischen 1116 und 1119 datiert
wird (siehe dazu oben S. 98). Da Simon auf dieses Werk, das schließlich den Abbatiat seines Lehrers
thematisiert, mit keinem Wort verweist, deutet darauf hin, dass das erste Buch vor 1116 verfasst worden
sein muss.
834 Wäre das erste Buch im Umfeld des ausbrechenden Konflikts mit Cluny entstanden, hätte Simon mit
Sicherheit immer wieder auf die Freiheit der Abtei hingwiesen. Das eingefügte Privileg Papst Victors II.,
das in der Folge noch Bedeutung haben sollte, könnte zwar in diese Richtung deuten, da aber die gesamte
Überlieferungssituation der Gesta schwierig ist, könnte der Text auch nachträglich eingefügt worden
sein. Abgesehen davon dürfte bereits die Tatsache, dass dieses Privileg von der höchsten kirchlichen
Autorität ausgestellt worden war, Grund genug gewesen sein, seinen Text in die Gesta zu integrieren.
 
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