210 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
dissensio zerstöre alle guten Dinge, von zentraler Bedeutung. Simon macht damit
deutlich, dass die anfänglich als frommes Werk begonnene correctio des Klosters
von Sithiu letztendlich gescheitert war, da daraus nur Streit und Zwietracht erwach-
sen waren und das ursprüngliche Ziel, ein gottgefälliges Leben zu führen, zunichte
gemacht wurde. Vor diesem Hintergrund bekommt die auffallend genaue Schilde-
rung der Ereignisse im zweiten und dritten Buch eine weitere Bedeutung. Simon
verfolgt damit ein didaktisches Ziel: Er möchte dem Leser veranschaulichen, welche
Akteure und Entscheidungen welche Ereignisse zur Folge hatten und schlussend-
lich zur Katastrophe führten. Im Mittelpunkt stehen hierbei natürlich zunächst die
Entscheidungen des Abtes und das Verhalten der Brüder.
Im Prolog des ersten Buchs der Gesta abbatum äußert sich Simon äußerst po-
sitiv gegenüber seinem Abt und ehemaligen Lehrer und lässt durchscheinen, dass
er dessen Abbatiat und vor allem seine correctio klar unterstützte.882 Das zweite
Buch der Chronik scheint diesen Eindruck zunächst zu bestätigen. So ist Lamberts
Entschluss zur correctio des Klosters überaus positiv zu werten: Er wird sich seiner
Verantwortung als Abt bezüglich des Seelenheils seiner Mitbrüder bewusst und be-
ginnt zu handeln.883 Das Bild, das Simon nun von seinem ehemaligen Lehrer zeich-
net, kann allerdings durchaus als zweideutig gewertet werden: Die Tatsache, dass
Lambert sich an das Grafenhaus wandte und mit dessen Unterstützung schließlich
die correctio erzwang, wird von Simon keinesfalls negativ gesehen, sondern viel-
mehr als Notwendigkeit empfunden.884 Dennoch schildert er Details, die Lambert
in einem wenig ruhmvollen Licht erscheinen lassen. So handelt er zunächst voll-
kommen eigenmächtig, ohne Rat mit seinen Brüdern zu halten, die bis zuletzt im
Unklaren gelassen wurden, ob ihr Abt in Cluny die Profess abgelegt hatte. Den von
seinen Brüdern verlangten und abgelegten Eid, nicht nach Cluny zu reisen, um die
Profess abzulegen, brach er ohne zu zögern. Bei seiner Rückkehr entgegnete er dem
Widerstand der Brüder mit Gewalt und ließ die renitenten Mönche aus der Abtei
entfernen.885
All diese Verhaltensweisen widersprechen ganz klar den monastischen Idealen.886
Es stellt sich daher die Frage, weshalb Simon diese wenig rühmlichen Taten schil-
882 So sei das Verhältnis Simons zu Lambert wie das zweier Turteltäubchen gewesen. Simon, Gesta, Prolog,
S. 635: »Hos igitur, dilectissime pater, quem turturea caritate unice amplector [...].«
883 Simon, Gesta, II, c. 62, S. 648.
884 Zu diesem Schluss kommt man angesichts der zahlreichen correctiones anderer Klöster, die allesamt
erzwungen waren, was von Simon aber positiv als das Wirken Gottes bewertet wird; siehe dazu oben
S. 178-192; zudem S. Vanderputten, Individual Experience.
885 Simon, Gesta, II, c. 64-66, S. 648.
886 Zum Rathalten mit den Brüdern vgl. RB 3, 1-13: »Omnia fac cum consilio (13)«. Es wird zwar betont,
dass auch die Brüder in Demut ihren Rat zu geben haben und sie mit ihm nicht streiten dürfen, aber
gleichzeitig wird betont, dass der Abt nur im Rahmen dessen, was in der Regel stehe, bestrafen dürfe.
dissensio zerstöre alle guten Dinge, von zentraler Bedeutung. Simon macht damit
deutlich, dass die anfänglich als frommes Werk begonnene correctio des Klosters
von Sithiu letztendlich gescheitert war, da daraus nur Streit und Zwietracht erwach-
sen waren und das ursprüngliche Ziel, ein gottgefälliges Leben zu führen, zunichte
gemacht wurde. Vor diesem Hintergrund bekommt die auffallend genaue Schilde-
rung der Ereignisse im zweiten und dritten Buch eine weitere Bedeutung. Simon
verfolgt damit ein didaktisches Ziel: Er möchte dem Leser veranschaulichen, welche
Akteure und Entscheidungen welche Ereignisse zur Folge hatten und schlussend-
lich zur Katastrophe führten. Im Mittelpunkt stehen hierbei natürlich zunächst die
Entscheidungen des Abtes und das Verhalten der Brüder.
Im Prolog des ersten Buchs der Gesta abbatum äußert sich Simon äußerst po-
sitiv gegenüber seinem Abt und ehemaligen Lehrer und lässt durchscheinen, dass
er dessen Abbatiat und vor allem seine correctio klar unterstützte.882 Das zweite
Buch der Chronik scheint diesen Eindruck zunächst zu bestätigen. So ist Lamberts
Entschluss zur correctio des Klosters überaus positiv zu werten: Er wird sich seiner
Verantwortung als Abt bezüglich des Seelenheils seiner Mitbrüder bewusst und be-
ginnt zu handeln.883 Das Bild, das Simon nun von seinem ehemaligen Lehrer zeich-
net, kann allerdings durchaus als zweideutig gewertet werden: Die Tatsache, dass
Lambert sich an das Grafenhaus wandte und mit dessen Unterstützung schließlich
die correctio erzwang, wird von Simon keinesfalls negativ gesehen, sondern viel-
mehr als Notwendigkeit empfunden.884 Dennoch schildert er Details, die Lambert
in einem wenig ruhmvollen Licht erscheinen lassen. So handelt er zunächst voll-
kommen eigenmächtig, ohne Rat mit seinen Brüdern zu halten, die bis zuletzt im
Unklaren gelassen wurden, ob ihr Abt in Cluny die Profess abgelegt hatte. Den von
seinen Brüdern verlangten und abgelegten Eid, nicht nach Cluny zu reisen, um die
Profess abzulegen, brach er ohne zu zögern. Bei seiner Rückkehr entgegnete er dem
Widerstand der Brüder mit Gewalt und ließ die renitenten Mönche aus der Abtei
entfernen.885
All diese Verhaltensweisen widersprechen ganz klar den monastischen Idealen.886
Es stellt sich daher die Frage, weshalb Simon diese wenig rühmlichen Taten schil-
882 So sei das Verhältnis Simons zu Lambert wie das zweier Turteltäubchen gewesen. Simon, Gesta, Prolog,
S. 635: »Hos igitur, dilectissime pater, quem turturea caritate unice amplector [...].«
883 Simon, Gesta, II, c. 62, S. 648.
884 Zu diesem Schluss kommt man angesichts der zahlreichen correctiones anderer Klöster, die allesamt
erzwungen waren, was von Simon aber positiv als das Wirken Gottes bewertet wird; siehe dazu oben
S. 178-192; zudem S. Vanderputten, Individual Experience.
885 Simon, Gesta, II, c. 64-66, S. 648.
886 Zum Rathalten mit den Brüdern vgl. RB 3, 1-13: »Omnia fac cum consilio (13)«. Es wird zwar betont,
dass auch die Brüder in Demut ihren Rat zu geben haben und sie mit ihm nicht streiten dürfen, aber
gleichzeitig wird betont, dass der Abt nur im Rahmen dessen, was in der Regel stehe, bestrafen dürfe.