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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0216
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212 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

heißt zur inneren Aufrichtigkeit und Standhaftigkeit, und eben nicht zu häufigen
Meinungswechseln angehalten.892
Diese zweifellos ambivalente Bild, das Simon von Abt Lambert zeichnet, lässt
sich womöglich dadurch erklären, dass es die Erwartungen von ganz unterschied-
lichen Lesern zu erfüllen hatte. Während die einen in Abt Lambert einen großen
Eörderer von religio et disciplina innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft von
Saint-Bertin sahen, der dieses Kloster wieder zu Ansehen und Bedeutung geführt
hatte, sahen die anderen in Lambert jenen Abt, der die Ereiheit der Abtei gefährdet
und durch seine correctio Tür und Tor geöffnet hatte für geheime Machenschaften
und Intrigen, die letztlich zur discordia geführt hatten. Das zweite Buch der Gesta
sollte somit die verschiedenen innerklösterlichen Gruppen integrierieren und zur
Schaffung einer kollektiven Identität beitragen.
Ein weiterer Aspekt, der in Simons Darstellung von zentraler Bedeutung ist und
mit dazu beigetragen hat, dass die Gemeinschaft von Saint-Bertin über Jahrzehnte
immer wieder Schauplatz von Konflikten war, ist das Verhältnis der Abtei zur Au-
ßenwelt. Eben dieses war für das Mönchtum eine der größten Herausforderungen:
Tot für die Welt, waren die Mönche trotz allem auf ihre Umwelt angewiesen.893 Im
Falle von Simons Gesta wird dies besonders anschaulich. Der Autor zeigt relativ
offen, wie sehr die Abtei mit der Außenwelt in Kontakt trat, aber auch, und dies ist
für dieses Werk entscheidend, welche fatalen Folgen dies haben konnte. So scheint
Simon, die Notwendigkeit, sich hilfesuchend nach außen zu wenden, vordergrün-
dig nicht in Frage zu stellen. Der Widerstand der Mönche, sich einer correctio zu
unterziehen, habe Lambert dazu bewogen sich zunächst an die Gräfin und mit ih-
rer Hilfe an Hugo von Cluny zu wenden.894 Dies führte zugleich zu einem ersten
Konflikt in der Gemeinschaft. Auch Lamberts Hilfegesuch beim Grafenhaus gegen
die Forderungen des Pontius war auf den ersten Blick mehr als notwendig, ging
es doch darum, die Freiheit der Abtei zu sichern.895 Dieses Hilfegesuch hatte aber
letztlich den Konflikt mit Cluny heraufbeschworen. Lamberts weiteres Verhalten,
das in der Forschung als ein Hin- und Herlavieren zwischen dem Grafen und dem
Abt von Cluny bezeichnet wurde, verschärfte die Situation, trug den Konflikt in
die Gemeinschaft der Brüder und führte dazu, dass sich zwei Lager bildeten, die
wiederum Rückhalt in der Außenwelt fanden.896 Die Verbindung mit Cluny oder
den entsprechenden flandrischen Großen sorgte ihrerseits dafür, dass der Konflikt
892 Vgl. hierzu RB 64, 11: »Oderit vitia, diligat fratres.« Zur stabilitas vgl. RB 58, 9, 17; 61, 5.
893 Siehe dazu oben S. 50-56.
894 Simon, Gesta, II, c. 64, S. 648.
895 Simon, Gesta, II, c. 90, S. 653.
896 Vgl. dazu H. Sproemberg, Alvisus, S. 83.
 
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