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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0248
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244 | II. Die Abtei von Marchiennes

Dieser höchst interessante Text wirft einige Fragen auf. So ist zunächst nach der
Rolle Marchiennes innerhalb dieser societas zu fragen. Die Handschrift aus Tour-
nai listet die Namen von 21 verbrüderten Häusern auf, wovon allerdings nur 19
namentlich bekannt sind.1021 Interessanterweise zählt Marchiennes 1131 nicht zu
dieser societas. Gerzaguet geht nun aber davon aus, dass Marchiennes durch die
Annahme der Gewohnheiten Clunys mit dem Gebrauch der Gebetsverbrüderung
und dem Anlegen eines Nekrologs vertraut gemacht worden sei und somit eben-
falls Teil der societas war. Im Gegensatz zu Platelle ist er aber der Meinung, dass
Marchiennes nicht sofort mit allen Gemeinschaften der societas verbrüdert war.
Zudem seien die Verbindungen zwischen den Häusern wohl eher von kurzer Dauer
gewesen.1022
Unbestreitbar ist sicher, dass der Text der Consuetudines und jener der Bestim-
mungen von fol. 69 zeitlich nahe beieinander liegen. Das bedeutet aber nicht, dass
sie in einem Zuge entstanden.1023 Auch die Datierung der angefügten Bestimmungen
auf das Jahr 1131 lässt sich nicht eindeutig beweisen. Das Jahr 1131 ist vielmehr der
terminus post quem. Darüber hinaus liegt Gerzaguets These die Vorstellung zu-
grunde, dass die bloße Existenz einer Handschrift der Consuetudines von Cluny in
Marchiennes zwangsläufig bedeute, dass die dortige Gemeinschaft ihr Leben nach
diesem Text ausgerichtet habe. Im Falle Marchiennes ist dies aber durchaus zu be-
zweifeln.
Zieht man nämlich Tutschs These heran, wonach sich die Frage nach der Um-
setzung der Consuetudines anhand des Grades der Gebrauchsspuren und der in-
dividuellen Prägung einer Handschrift messen lässt, darf für den Fall Marchiennes
nur ein äußerst mäßiger Gebrauch angenommen werden.1024 Bei der Handschrift
selbst handelt es sich um eine weitgehend vollständige und sehr saubere Abschrift,
quando ei placuerit, persolvat et alii quinquaginta psalmos.« Die Transkription dieses Textes orientiert
sich weitgehend an der von J. P. Gerzaguet, Les confraternites, Annexe 2, 23, S. 352. Der Wortlaut
seiner Transkription stimmt aber zu Beginn nicht mit dem aus der Handschrift überein. So heißt es bei
ihm: »Inter abbates nostri ordinis et Premonstratensis ordinis [...].« Die zitierte Passage ist mit einer
anderen Tinte geschrieben worden, schließt aber direkt an die Bestimmungen des Generalkapitels an.
1021 Siehe dazu oben S. 30-35.
1022 J. P. Gerzaguet, Les confraternites, S. 320-321: »L’inscription au folio 69v, d’une ecriture contempo-
raine du reste du texte, mentionne, avec ses modalites, la societe de prieres instituee en 1131, lors du
premier chapitre benedictin evoque plus haut. En adoptant les coutumes clunisiennes, Marchiennes
adoptait entre autre la pratique des confraternites et l’usage du necrologe.« H. Platelle, Le temporel de
l’abbaye de Saint-Amand, S. 181-183; J. P. Gerzaguet, Les confraternites, S. 321 spricht sich für eine
Verbrüderung Marchiennes mit den benachbarten Abteien von Anchin, Saint-Martin in Tournai und
Hasnon aus.
1023 Gegen die Annahme, beide Texte seien in einem Zug entstanden, spricht zum einen, dass die Texte
aus unterschiedlichen Händen stammen. Zum andern bricht der Text, der über die Neuerungen des
Generalkapitels berichtet, mit der bis dahin streng eingehaltenen Zeilenzahl der Handschrift.
1024 B. Tutsch, Texttradition und Praxis.
 
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