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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0255
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3. Veränderungen im Innern | 251

und dies obwohl zum Zeitpunkt der Abfassung des Texts die Reliquien der heiligen
Eusebia noch in Marchiennes ruhten.1052 Dass ihr Festtag aber immer noch feierlich
begangen wurde, soll zeigen, dass sich die Mönche von Marchiennes auch weiterhin
um diesen Ort und seine Heilige gekümmert haben. Ihr Anspruch auf das ehemalige
Priorat scheint also auch dahingehend begründet zu sein.
Am Ende des ersten Teils der Histoire-Polyptyque kommt ihr Verfasser schließ-
lich noch einmal auf das bereits zuvor erwähnte Testament der heiligen Rictrud zu
sprechen, in dem sie ihr Kloster mit Besitz bedachte. Doch anstelle eines Textes und
einer Auflistung der Schenkungen folgt nun die Beschreibung der Entstehungsum-
stände dieses Testaments. So sei es in der Zeit König Chlodwigs II., des Bruders
Sigeberts III., unter der Zeugenschaft wichtiger Personen entstanden: Neben Bi-
schof Aubert, Vindicianus, dem Archidiakon von Arras Honoratus, Amandus, sei-
nen Gefährten Jonatus und Chrodobaldus und Kanonikern ist die Rede von Gro-
ßen des königlichen Hofs, dem Hausmeier Maldegarus und dem edlen Amalfridus,
die beide jeweils Klöster gründeten. Aubert und Amandus hätten zudem mit der
Zustimmung des Königs, der Großen, des Klerus und des Volkes das Anathem ge-
gen all jene ausgesprochen, die das Kloster von Marchiennes beraubten.1053
Dieses Kapitel ist zugleich die Überleitung zum zweiten Teil der Histoire-Poly-
ptyque. Der anonyme Verfasser verzichtet darauf, einen fiktiven Text eines Testa-
ments zu präsentieren und legt viel größeren Wert auf die genannte Zeugenliste. Die
Aneinanderreihung der Namen großer und bedeutender Persönlichkeiten aus dem
geistlichen und weltlichen Bereich sollen dem vermeintlichen Testament größeres
Gewicht und Autorität verleihen. Der eigentliche Inhalt des Rictrudtestaments
folgt allerdings erst im zweiten Teil des Werks mit einer Auflistung sämtlicher Be-
sitzungen der Abtei von Marchiennes. Die Histoire-Polyptyque im Gesamten ist
im Verständnis der Zeitgenossen somit nichts anderes als das Vermächtnis der hei-
ligen Rictrud und somit ein Text von größter Symbolik.1054

1052 Die Übertragung der Reliquien nach Hamage fand noch unter Abt Amand statt. Vgl. dazu Miracula
Sanctae Eusebiae, c. 2, S. 460A: »Recondita sunt igitur praefatae sacratissimae Virginis Eusebiae sacra
ac veneranda ossa de veteri in novam ex auro & argento satis pulcro opere fabricatam & contextam
lecticiam, anno Incarnati Verbi millesimo centesimo trigesimo tertio, indictione undecima, sexto con-
currente, epacta duodecima, sexto decimo Kalendas lunii.«
1053 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 15, S. 77-79.
1054 R. E Berkhofer, Day of Reckoning stellt fest, dass nur wenige Klöster des 11. und 12. Jahrhunderts
wirkliche Verwaltungsschriften verfassten, und dass stattdessen der Besitz des Klosters meist als patri-
monium verstanden wurde, das dem Klosterpatron gehörte und auf jeden Fall bewahrt werden müsste
und nicht verändert werden dürfte. Die Symbolik sei zudem dadurch unterstrichen worden, dass die
Handschriften im Klosterschatz aufbewahrt worden seien. Die Histoire-Polyptyque spiegelt eben dies
durch ihren Grundgedanken, das Testament der Heiligen darzustellen, wider, wenngleich sie auch
durchaus ganz pragmatische Funktionen zu erfüllen hatte; siehe dazu unten S. 262.
 
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