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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0256
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252 | II. Die Abtei von Marchiennes

3.3.2. Die Abtei von Marchiennes und der lokale Heiligenkult
Als Ort, an dem die Gebeine der heiligen Rictrud und weiterer Heiliger ruhten,
war Marchiennes das Zentrum eines nicht unbedeutenden Heiligenkultes. Galberts
Werke machen allerdings unmissverständlich klar, dass die Krisen, die das Kloster in
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts schwer getroffen hatten, den Kult weitgehend
zum Erliegen brachten, und er nun im Zuge der correctio des Klosters einer Wieder-
belebung bedurfte. So bemerkt Galbert in seinen Miracula Sanctae Rictrudis, dass
die caritas vieler zum Schlechten hin nachgelassen habe und die Heiligen immer
weniger verehrt und besucht wurden. Die, die aber nach Marchiennes gekommen
seien, nämlich Bauern und Kranke, erfuhren weiterhin die virtus Christin Galbert
umschreibt hier also eine Krise, die das Kloster vor allem wirtschaftlich durch den
Rückgang von Schenkungen der Großen zu spüren bekommen hatte.
Vor allem aus Galberts Patrocinium erfährt man, dass Abt Amand die treibende
Kraft bei der Wiederherstellung des Kultes war. Nach der wundersamen Heilung
eines Bruders ordnete er nämlich an, dass alles aufs Genaueste dokumentiert wer-
den solle, wovon letztlich die Werke Galberts selbst zeugen.1055 1056
Während die Miracula Sanctae Rictrudis eine mehr oder weniger klassische
Sammlung von Mirakelberichten darstellt, ist das Patrocinium ein weit vielschich-
tigeres Werk.1057 Wenngleich darin ebenfalls einzelne Wunder thematisiert werden,
steht im Mittelpunkt des Textes doch vor allem die Wiederbelebung des verlassenen
Klosters, was selbst nicht nur als Wunder gedeutet wurde, sondern auch als sicht-
bares Zeichen dafür, dass Marchiennes weiterhin ein heiliger Ort war, an dem die
Wirkmacht Gottes und der lokalen Heiligen offen zu Tage traten. Damit kam dem
Heiligenkult von Marchiennes zugleich eine wichtige identitätsstiftende Funktion
zu.
Auch wenn in Galberts Werken vor allem die heilige Rictrud als bedeutendste
Heilige des Klosters im Mittelpunkt steht, wird an einigen Stellen mehr als deutlich,
dass sich die Gemeinschaft unter Abt Amand nun auch weiterer Heiliger erinnerte.

1055 Galbert, Miracula, I, c. 4, S. 133A: »Sed sicut profecto seculo prompto ad malum refriguit caritas mul-
torum, ita ex maxima parte intepuit frequens devotio, seu visitatio Sanctorum. Accedentes igitur labo-
rantes, aegrotantes, vermibus scaturientes, vermesque secum, maligna prurigine saeviente, deferentes,
continuo experiebantur virtutem Domini nostri Jesu Christi & B. Rictrudis, nec non sanctissimi filii
ejus Levitae & Abbatis Mauronti.«
1056 Galbert, Patrocinium, c. 2, S. 144D: »Praecepit etiam rem gestam, ad memoriam sempiternam annotari,
commendari, frequentari; frequentatam, commendatam, annotatam, divinis operibus operam impendi;
& hanc vicissitudinem, quanta potest a mortalibus, collaudandis caelestibus recompensari.«
1057 S. Vanderputten, A Miracle of Jonatus, S. 58 weist darauf hin, dass das Patrocinium wohl als Auftakt
für ein großes Werk über die heilige Rictrud gedacht war.
 
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