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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0263
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4. Veränderungen in den Besitz- und Herrschaftsstrukturen | 259

wenigen Urkunden aus dieser Zeit machen deutlich, dass die Abtei vielmehr damit
beschäftigt war, ihren Besitz zu verteidigen und gegebenenfalls zurückzugewinnen.
Zudem scheint die benachbarte und weit jüngere Abtei von Anchin zu einer regel-
rechten Konkurrentin des altehrwürdigen Klosters der heiligen Rictrud geworden
zu sein.1082
Als Amand von Castello 1116 die Führung der Gemeinschaft von Marchiennes
übernahm, befand sich das Kloster in einer desolaten wirtschaftlichen Lage. Die er-
zählenden Quellen aus Marchiennes sind sich dabei einig, dass die Hauptschuld da-
ran bei Abt Fulchard lag, da er Klostergut an seine Verwandten ausgegeben habe.1083
Dass es sich dabei wohl um Besitz der mensa conventualis gehandelt hatte, wurde
bereits gezeigt.1084 Welche Besitzungen Fulchard allerdings an seine Verwandten
ausgegeben haben soll, ist nicht ersichtlich. Lediglich aus den später entstandenen
Miracula Sanctae Eusebiae und den Miracula Sanctae Rictrudis des Andreas von
Marchiennes erfährt der Leser, dass das ehemalige Priorat von Hamage, dessen Be-
sitz zur mensa conventualis gehört hatte, nun an einen leprakranken Verwandten
Fulchards übertragen worden war.1085
Die desolate wirtschaftliche Situation des Klosters war aber nicht allein auf die
schlechte und untreue Verwaltung Abt Fulchards zurückzuführen. Die Abtei von
Marchiennes und ihr Besitz hatten nämlich, wie Galberts Mirakelberichte zeigen,
bereits zuvor immer wieder unter den Übergriffen und Interessen der benachbarten
weltlichen Herren zu leiden.
Die besondere Lage der Abtei am Rande der Grafschaft Flandern trug hierzu
maßgeblich bei. Ein Großteil des Klosterbesitzes lag in Gegenden, die als politisch
instabil zu gelten haben. Als eine solche Gegend kann der Ostrevent gelten: Bis in
die Zeit Graf Roberts I. des Friesen stand diese Gegend unter flandrischem Einfluss,
kam dann aber um 1070 unter die Kontrolle des Kastellans von Bouchain und so-
mit unter den Einfluss des Grafen von Hennegau. Der Klosterbesitz im Ostrevent
blieb weiterhin unter der Kontrolle des Grafen von Flandern und bildete damit

1082 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, S. 46.
1083 Annales Marcianenses, S. 615.
1084 Galbert, Miracula, I, §2, S. 127F: »Pastor praetendebat causam adversus oves, non servari ab eis Re-
ligionem; oves adversus pastorem sibi non sufficienter impendi corpoream necessitatem.« Ein ver-
gleichbarer Konflikt, der aus einer solchen Situation erwachsen kann, findet sich in Saint-Bertin. Dort
hatte Abt Johannes L ein Geldlehen aus der mensa conventualis an einen Ritter übertragen, ohne die
Gemeinschaft der Brüder um Zustimmung zu bitten; vgl. dazu B. Guerard, Cartulaire, S. 244.
1085 Andreas, Miracula Sanctae Rictrudis, S. 101-102 und in Miracula Sanctae Eusebiae, S. 459. Nach
B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, S. 45 gehörten Hamage und einige andere Dörfer 877 noch zur
mensa abbatialis, da sie nicht bei der Auflistung der Güter der mensa conventualis auftauchen, aber
nachweislich bereits im Besitz des Klosters sein mussten.
 
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