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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0268
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264 | II. Die Abtei von Marchiennes

beraubt worden seien und die um Hilfe rufen, gewährt er Trost. Der sogenannte
Vogt verschließt seine Ohren vor jenen, die ihn rufen. Er, der zu ihnen eilen müss-
te, um sie mit äußerster Strenge zu rächen, entreißt den Armen nicht der Macht
der Starken, den Schwachen und Armseligen nicht aus den Fängen derer, die ihn
berauben. Und nachdem er seiner Aufgabe nicht nachgegangen ist, den Armen zu
helfen, haben seine Diener, diese Wölfe des Abends, diese unerwarteten Räuber, die
Frechheit von ihren Untergebenen eine Geldabgabe für ihren Herrn zu verlangen,
um sich mit Wein zu betrinken.«1101
Gegen wen genau der Verfasser dieser Zeilen seine schwere Kritik richtet, bleibt
ungeklärt, da es für diese Zeit keine verlässliche Liste der Klostervögte gibt. Nach
Delmaire wurde dieses Amt unter mehreren Untervögten aufgeteilt, was auch er-
klären würde, weshalb die Histoire-Polyptyque von den Vögten sowohl im Singu-
lar als auch im Plural spricht.1102 1103 Dass der Verfasser dabei keine Namen nennt, liegt
wohl vor allem in der zeitlichen Nähe und der Brisanz des Inhalts begründet.
Vor dem Hintergrund der schweren Krise unter Abt Fulchard ist es aber äußerst
wahrscheinlich, dass die Histoire-Polyptyque hier auf Mitglieder der Familie der
Landas anspielt. Vanderputten konnte zeigen, dass eben diese sozial aufstrebende
Familie den Besitz der Abtei für den Ausbau der eigenen Herrschaft verwendet hat-
te. Die correctio des Klosters, die maßgeblich vom Grafen von Flandern unterstützt
worden war, habe daher unter anderem auch dazu gedient, das Verhältnis zwischen
Graf, Untervögten und dem Kloster neu zu definieren. Dabei sei es allerdings nicht
darum gegangen, die Landas zu schwächen, sondern gegenseitige Anerkennung zu
erreichen und einen für alle Seiten akzeptablen Kompromiss zu finden. Ausdruck
dessen war im Falle Fulchards die Abfindung mit zwei Dörfern aus der mensa
conventualis.ivyi
1101 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, §20, S. 82-83: »Qui nunc advocatus immerito nuncupatur hono-
rifico nomine olim defensor §cclesi§ laudabiliter vocabatur, quoniam sapientia, ratione, armis etiam, si
ita res exegisset, omnia qu§ erant §cclesi§ viriliter defendebat et vigilanter protegebat. Rapax non erat
nec inferiorum expoliator, sed qui ad sui tutelam pertinere videbantur quecumque habere poterant sine
auferendi timore secure possidebant. De his vero qui modo sunt ideo dictum est: advocatus immerito
nuncupatur, quia nec nominis proprietas admittit ut hujus appellatione vocabuli fungatur donec ad
adjuvandum et succurrendum ab his qui inferius injuriam patiuntur fuerit invitatus: hoc est advocatus.
Administrationis istius utilis profectus his temporibus, heu! in contrarium versus est. Nam afflictis
et merentibus facultatula sua expoliatis, inclamantibus auxilium, nullum omnino confertur solatium.
Voces invocantium is qui advocatus dicitur dissimulat audire, quem horum districtissimum vindicem
celerrime oportuerat esse. Non eripit inopem de manu fortiorum ejus, egenum et pauperum a diri-
pientibus eum. Post tantam autem sui desidiam in subveniendis pauperibus, irruunt subito nimia impu-
dentia officiales ejus, lupi vespertini, repentini raptores in desolatos subditos, denariorum collectionem
exigunt in servitio domini sui ad bibendum vinum et ad miscendam ebrietatem.«
1102 Als Untervögte sind aus den Mirakelberichten Galberts vor allem vier Namen bekannt: Albricus, Ful-
bertus, Dodo und Phamredus. Aus welcher Familie sie jeweils stammten, lässt sich leider nicht ermit-
teln; siehe dazu oben S. 319-324.
1103 S. Vanderputten, Fulcard’s Pigsty.
 
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