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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0284
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280 | II. Die Abtei von Marchiennes

für jene Prüfung war. Während das Gebet für die Verstorbene durchaus positiv
gewertet werden kann und freilich eine genuin monastische Praxis darstellt, lässt
Galbert in seinem Bericht durchscheinen, dass Fulchard sich durch seine über-
große Trauer um die Mutter nicht vollkommen dem monastischen Leben hingeben
konnte. Als junger, noch unerfahrener Mönch scheint er mit seinen Gedanken und
Gefühlen in der Welt verhaftet gewesen zu sein. Mit der schweren Verletzung des
Unterleibs sollte daher seine wahre monastische Gesinnung und Eignung auf den
Prüfstand gestellt werden.1157
Fulchard reagierte auf das Widerfahrene zunächst mit Jammern, Klagen und
Verzweiflung. Aus Angst vor dem Tod forderte er das Viaticum. Als Gott ihn nicht
sterben ließ, schwand zumindest seine Furcht. Auch das Hadern und Jammern
scheint sich mit der Zeit gelegt zu haben. Er fand sich mit seiner Situation ab und
ertrug sie über mehrere Jahre mit Geduld. Erst als er begann, die eingefahrene Si-
tuation zu hinterfragen, und sein eigenes Schicksal nicht mehr in den Vordergrund
stellte, nahm der Prozess der Heilung seinen Lauf. Fulchard wollte nicht länger
untätig sein und den anderen Brüdern zur Last fallen, sondern sich in deren Dienst
stellen. Indem er sich von seiner Sonderbehandlung als Kranker verabschiedete und
sich trotz Schmerzen für das Kloster nützlich machte, verbesserte sich sein Zustand
schlagartig.
Galberts Bericht lässt sich hier auf drei Ebenen verstehen: Zunächst wandelt sich
Fulchard vom untätigen Mönch zu einem Bruder, der die Schwäche seines Körpers
überwunden hatte und dadurch zu einem äußerst nützlichen Akteur bei der cor-
rectio des Klosters wurde, was sich ganz konkret an den Renovierungsarbeiten in
der Krypta äußert. Auch wenn die einzelnen Episoden aus Galberts Patrocinium
nicht genau datiert werden können, steht fest, dass die Geschichten um Fulchard
in die Zeit der Wiederherstellung des Klosters und somit in den Abbatiat Amands
fallen.1158
Es änderte sich sein körperlicher Zustand und schließlich auch seine innere
Gesinnung, sein Seelenzustand: Fulchards Selbstbezogenheit wich dem Gemein-
schaftsgefühl. Der zwischenzeitliche Rückschlag ermahnte ihn allerdings zu Vor-
sicht und Bescheidenheit. Dass er seine Heilung schließlich ein Jahr lang geheim
1157 Die Verletzung des Unterleibs und die Beeinträchtigung der Genitalien ist sexuell konnotiert und
könnte auf Fulchards Sorge um die Familie (die verstorbene Mutter und die beiden Brüder) hindeuten.
1158 Der Unfall ist in die Zeit Abt Fulchards und zwar noch vor dem Weggang der Brüder zu datieren: somit
vor 1110. Da die Krankheit sieben Jahre dauerte, dürfte die Heilung in die ersten Jahre des Abbatiats
Amands gefallen sein. So bemerkt Galbert, Patrocinium, c. 3, S. 146 D: »De quo, postquam praemi-
simus, restat, ut quod distulimus, inspiciamus; scilicet quomodo misericors idem Deus & Dominus,
res Marceniensium, nimis inclinatas ad occasum, solis, ut ita dicam, reduxit ad ortum interventione
Sanctorum, in eodem loco praesentia corporali diem Domini expectantium.« Galbert geht in seiner
Erzählung also nicht chronologisch vor.
 
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