288 | II. Die Abtei von Marchiennes
weist zwar darauf hin, dass es sich dabei um einen Akt des Ungehorsams handel-
te, entschuldigt ihn aber sogleich mit der dahinter stehenden frommen Intention.
Während Fulchard seinen Dienst anfangs allein aus Pflichterfüllung, aber auch aus
Ehrfurcht vor Gott tat, scheint sein nun an den Tag gelegter Eifer aus einer tieferen
Überzeugung herzurühren. Selbst in der schlechtesten wirtschaftlichen Lage des
Klosters wollte er mit den Armen teilen. Dass er sich dabei als ein sehr kluger und
gerechter Diener des Klosters erwies, ist Galbert besonders wichtig.
Das erste Kapitel des Patrocinium zielt also darauf ab, dem Leser mehrere Dinge
vor Augen zu führen. Zunächst soll an den Wunderheilungen Fulchards deutlich
gemacht werden, dass die Abtei von Marchiennes ein Ort göttlicher Gnade war.
Nach der Krise unter Abt Fulchard galt es dies erneut unter Beweis zu stellen: zum
einen durch den dortigen Heiligenkult, zum anderen durch das Leben der frommen
Brüder. Fulchard steht exemplarisch für das gottgefällige Leben eines Mönchs. So
bemerkt Galbert über Bruder Fulchard am Ende des Kapitels, dass die »Kraft des
göttlichen Samens bei ihm nicht in die Dornbüsche und auch nicht auf felsigen
Boden gefallen sei, sondern auf fruchtbare Erde und keimen konnte. Zu gegebe-
ner Zeit habe er reiche Frucht in die Scheune des Herrn eingebracht, nämlich vom
dreißigfachen Ertrag zum sechzig- oder hundertfachen.«1186 Fulchards monastisches
Leben war somit eine Erfolgsgeschichte. Sie zeigt, mit welchen Herausforderungen
ein Mönch im Lauf seines Lebens konfrontiert werden konnte und wie er diese
meistern sollte. Dem Leser wird dabei die Entwicklung eines Mönchs von dessen
Eintritt in das Kloster bis kurz vor seinem Tod vor Augen geführt. Galbert gelingt
es, die Entwicklung aufzuzeigen, die nicht nur Fulchard, sondern jeder gute Mönch
im Lauf seines Lebens durchmachen sollte: Das monastische Leben ist kein stati-
scher Zustand, sondern ein ständiger Prozess der inneren Veränderung. Neben der
Befolgung der monastischen Ideale auf einer normativen Ebene geht es vor allem
darum, diese zu verinnerlichen und aus sich selbst heraus zu leben. Ist dieser Zu-
stand erreicht, wird dem Mönch in seinen Handlungen ein weit größerer Spielraum
zugestanden. So entschuldigt Galbert den Ungehorsam Fulchards vor dem Hinter-
grund seines frommen Eifers in der Armenfürsorge und nimmt somit eine Hierar-
chisierung der Ideale vor. Im Zentrum seines Texts stehen vor allem die Ideale der
Demut, der Beständigkeit und des Dienstes am Nächsten. Darüber hinaus themati-
siert Galbert beiläufig konkrete monastische Praktiken, die in Marchiennes wieder
1186 Galbert, Patrocinium, c. 2, S. 145F: »Vis etenim divinae sementis non in sentibus, non in saxosis rude-
ribus, sed in opima & exculta foece telluris aptissimae locum germinandi obtinuit, atque pacatissimum
fructum tempore suo congruo in horreum Dominicum condidit; & de trigesimo proventu ad centesi-
mum vel sexagesimum gradum, ascensiones in corde suo disposuit.«
weist zwar darauf hin, dass es sich dabei um einen Akt des Ungehorsams handel-
te, entschuldigt ihn aber sogleich mit der dahinter stehenden frommen Intention.
Während Fulchard seinen Dienst anfangs allein aus Pflichterfüllung, aber auch aus
Ehrfurcht vor Gott tat, scheint sein nun an den Tag gelegter Eifer aus einer tieferen
Überzeugung herzurühren. Selbst in der schlechtesten wirtschaftlichen Lage des
Klosters wollte er mit den Armen teilen. Dass er sich dabei als ein sehr kluger und
gerechter Diener des Klosters erwies, ist Galbert besonders wichtig.
Das erste Kapitel des Patrocinium zielt also darauf ab, dem Leser mehrere Dinge
vor Augen zu führen. Zunächst soll an den Wunderheilungen Fulchards deutlich
gemacht werden, dass die Abtei von Marchiennes ein Ort göttlicher Gnade war.
Nach der Krise unter Abt Fulchard galt es dies erneut unter Beweis zu stellen: zum
einen durch den dortigen Heiligenkult, zum anderen durch das Leben der frommen
Brüder. Fulchard steht exemplarisch für das gottgefällige Leben eines Mönchs. So
bemerkt Galbert über Bruder Fulchard am Ende des Kapitels, dass die »Kraft des
göttlichen Samens bei ihm nicht in die Dornbüsche und auch nicht auf felsigen
Boden gefallen sei, sondern auf fruchtbare Erde und keimen konnte. Zu gegebe-
ner Zeit habe er reiche Frucht in die Scheune des Herrn eingebracht, nämlich vom
dreißigfachen Ertrag zum sechzig- oder hundertfachen.«1186 Fulchards monastisches
Leben war somit eine Erfolgsgeschichte. Sie zeigt, mit welchen Herausforderungen
ein Mönch im Lauf seines Lebens konfrontiert werden konnte und wie er diese
meistern sollte. Dem Leser wird dabei die Entwicklung eines Mönchs von dessen
Eintritt in das Kloster bis kurz vor seinem Tod vor Augen geführt. Galbert gelingt
es, die Entwicklung aufzuzeigen, die nicht nur Fulchard, sondern jeder gute Mönch
im Lauf seines Lebens durchmachen sollte: Das monastische Leben ist kein stati-
scher Zustand, sondern ein ständiger Prozess der inneren Veränderung. Neben der
Befolgung der monastischen Ideale auf einer normativen Ebene geht es vor allem
darum, diese zu verinnerlichen und aus sich selbst heraus zu leben. Ist dieser Zu-
stand erreicht, wird dem Mönch in seinen Handlungen ein weit größerer Spielraum
zugestanden. So entschuldigt Galbert den Ungehorsam Fulchards vor dem Hinter-
grund seines frommen Eifers in der Armenfürsorge und nimmt somit eine Hierar-
chisierung der Ideale vor. Im Zentrum seines Texts stehen vor allem die Ideale der
Demut, der Beständigkeit und des Dienstes am Nächsten. Darüber hinaus themati-
siert Galbert beiläufig konkrete monastische Praktiken, die in Marchiennes wieder
1186 Galbert, Patrocinium, c. 2, S. 145F: »Vis etenim divinae sementis non in sentibus, non in saxosis rude-
ribus, sed in opima & exculta foece telluris aptissimae locum germinandi obtinuit, atque pacatissimum
fructum tempore suo congruo in horreum Dominicum condidit; & de trigesimo proventu ad centesi-
mum vel sexagesimum gradum, ascensiones in corde suo disposuit.«