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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0356
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352 | III. Die Abtei Saint-Martin in Tournai

habe zudem nicht nur der Dienst zwischen den Lebenden, sondern auch zwischen
den Toten verbunden.1416
Interesse an der Martinsabtei hatte nicht zuletzt auch die benachbarte Abtei
von Saint-Amand in Elnone. Hermann berichtet nämlich beiläufig, dass sich nach
dem Weggang Odos und seiner Brüder aus Tournai Mönche aus Saint-Amand in
Saint-Martin niedergelassen hatten, um dort den Gottesdienst weiterhin zu gewähr-
leisten.1417 Was hier von Hermann als Freundschaftsdienst dargestellt wird, ähnelt
doch vielmehr dem vorsichtigen Versuch, dort Mönche aus diesem Kloster anzusie-
deln.1418 Saint-Amand, mit dem Hermanns Familie selbst enge Beziehungen pflegte,
war im weiteren Verlauf neben Anchin eine Gemeinschaft, die in sehr engem Kon-
takt mit Saint-Martin stand.
2.4. Die zweite Krise und die correctio der Gemeinschaft
Nachdem die erste Krise mit der Rückkehr der Mönche überwunden war, habe sich
die Gemeinschaft, wie Hermann zu berichten weiß, auf den Rat Bischof Radbods
an den Gewohnheiten von Anchin orientiert. Dennoch habe Odo bei der spirituel-
len und weltlichen Führung seiner Gemeinschaft ganz eigene Akzente gesetzt. Eben
dies führte die Abtei allerdings in eine zweite existenzielle Krise.
Im Jahr 1095 sei es in der Gegend zu einer großen Hungersnot gekommen und
Odo habe begonnen, alle Vorräte des Klosters an die Armen zu verteilen, bis die
Speicher des Klosters leer waren. Not und Angst zwangen ihn dazu, alle Brüder zu-
sammenzurufen und sie über die fatale Situation zu unterrichten. Die Brüder seien
über das eigenmächtige Handeln ihres Abtes sehr überrascht gewesen und stellten
ihm nun Forderungen: Zunächst sollte Odo einen fähigeren Mann mit der Wirt-
schaft des Klosters betrauen, sich allein auf die Lehre und den spirituellen Bereich
beschränken und nichts mehr ohne die Zustimmung der Brüder entscheiden. Als
nächstes forderten sie, dass er auf die Proben beim Eintritt ins Kloster, wie es der
1416 Hermann, Liber, c. 55, S. 97: »[...] et tarn ipse quam fratres eius efficiuntur nobis in consilio ut patres,
in auxilio ut fratres, in famulatu ut servi. Unde pre ceteris comprovincialibus cenobiis maiorem semper
familiaritatem erga Aquicinenses habuimus, ita ut communia sint omnia nostra tarn intrinsecus quam
extrinsecus, et quicquid agimus pro fratribus nostris vivis vel defunctis, hoc pro illis nos agere concesse-
rimus, idemque reciproca vicissitudine ab eis accipiamus.«
1417 Hermann, Liber, c. 63, S. 114: »Nam etiam quando monachi, cum domno Odone deserta petere vo-
lentes, ut superius dictum est de ecclesia sancti Martini discesserunt, prefatus domnus Hugo abbas
Sancti Amandi quinque de suis monachis, ne ecclesia sancti Martini divino careret officio, illuc direxit,
victumque cotidianum eis dirigens usque ad reditum monachorum Sancti Martini eos ibidem morari
precepit.«
1418 Ebd.
 
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