Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0404
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
400 | III. Die Abtei Saint-Martin in Tournai

An diesem Beispiel veranschaulicht Hermann gleich mehrere Dinge. So ruft er
zunächst die Bedeutung des Schweigegebots in Erinnerung, das nicht nur in Saint-
Martin, sondern auch in der daran angegliederten Frauengemeinschaft einen zen-
tralen Stellenwert hatte. Hermann relativiert dieses Schweigegebot aber mit der
frommen Absicht seiner Mutter. Dass Eremburg dabei das Gehorsamsgebot nicht
nur über die Intention der Kranken, sondern auch über das Gebot der Barmherzig-
keit stellte, war aus Hermanns Sicht falsch, weswegen sie auch von ihrem Bruder
Odo zurechtgewiesen wurde. Mainsendis hingegen erduldete ihre Bestrafung voller
Demut.
Beide Beispiele verdeutlichen zum einen, dass das Schweigegebot in Saint-Martin
einen sehr hohen Stellenwert hatte und ein Pfeiler des propositum war. Zum anderen
machen sie deutlich, dass es bei diesem Schweigegebot nicht um eine buchstabenge-
treue Befolgung ging, sondern darum, die Frage nach dem Schweigen oder Reden
von der discretio der Mönche abhängig zu machen. Gottfried und Mainsendis hat-
ten das Schweigegebot gebrochen, dies aber aus wohlgemeinter Absicht getan und
letztlich keinen Schaden daran genommen. Im Zusammenhang mit der Frage nach
dem Schweigen war die discretio nicht zuletzt ein zentrales Argument der abbates
comprovinciales, die sich 1132 gegen den Vorwurf des Matthäus von Albano, ein
ewiges Schweigen in ihre Klöster eingeführt zu haben, zur Wehr setzten.1603

Verzicht auf Prunk in der Liturgie
Die Texte Cassians waren, wie Hermann immer wieder betont, Odos bevorzugte
Inspirationsquelle, an der er das monastische Leben in Saint-Martin orientierte.
Von besonderer Tragweite war diesbezüglich sein Entschluss, auf jegliche Art von
Prunk zu verzichten. Hermann bemerkt, dass Odo dies nicht nur aus den Lehren
der alten Väter, womit er sicher Cassians Texte meint, sondern auch aus dem Vers
eines weltlichen Dichters schöpfte, in dem es heißt: »Sagt mir, ihr Bischöfe, was hat
Gold in den heiligen Dingen zu suchen?«1604 Er habe es daher abgelehnt, goldene
Kreuze anfertigen zu lassen, und alles Geld, was er bekommen hatte, an die Armen
und Unterdrückten verteilt.1605 Im Zusammenhang mit der Audition eines Bruders,
der hinter dem Altar in der Kirche schlief, bemerkt Hermann, dass die Gemein-
1603 Vgl. dazu S. Ceglar, Guillaume de Saint-Thierry, S. 341-344.
1604 Hermann, Liber, c. 67, S. 117; diese Worte sollen vom heiligen Eligius von Noyon stammen, vgl. dazu
L. Nelson, The Restoration, S. 97, Anm. 1 (S. 223). Der Satz wird überliefert von Sigebert von Gem-
bloux, Gesta abbatum, c. 41, S. 540.
1605 Hermann, Liber, c. 67, S. 117: »Prefatus itaque abbas, instituta et doctrinam antiquorum patrum assidue
legens et etiam secularis illius poete versiculum recolens Dicite, pontifices, in sancto quidfacit aurum?,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften