402 | III. Die Abtei Saint-Martin in Tournai
Bereits an diesen Beispielen wird deutlich, welchen Zweck die Proben hatten:
Die Aspiranten sollten nicht nur zeigen, dass sie willens waren, den Weisungen
des Abtes Folge zu leisten, sondern auch ihr bisheriges Leben und vor allem ihren
Stolz abzulegen. Entscheidend war dabei, dass die Proben vor den Augen der Be-
wohner von Tournai stattfanden und somit eine besonders große Wirkung hatten:
zum einen, weil dadurch für jedermann ersichtlich wurde, wer sich bekehrt hatte,
zum anderen, weil der Aspirant sich öffentlich demütigte. Dass die bewusste De-
mütigung Ziel dieser Proben war, gibt Hermann zu erkennen, wenn er sich an den
Leser wendet und zur Probe der vier Kanoniker bemerkt: »Wenn Du hörst, wie sie
von Odo auf die Probe gestellt wurden, wirst Du Dich kaum vor Lachen halten
können.«1611 Nicht weniger demütigend waren die Aufgaben, die Odo Hermanns
Vater Rudolf nach dessen Bekehrung auferlegte. So habe er den ehemaligen Vogt
von Tournai erst aufnehmen wollen, nachdem er bewiesen habe, was die Regel des
heiligen Benedikt besagt: »Prüfet den Geist, ob er von Gott kommt«. Er befahl da-
her: »Geh und verdiene Dein Essen vor aller Augen durch Arbeit, geh Wasser holen
für die Tavernen, schlage Holz, miste Ställe aus und übe andere Tätigkeiten aus, die
getan werden müssen.« Rudolf tat wie ihm befohlen und widmete sich den nied-
rigsten Aufgaben, ohne sich dafür zu schämen.1612 Für Odo waren die Proben also
eine Möglichkeit, die Motivation der Bekehrten zu prüfen und dem allzu impulsi-
ven Entschluss des einen oder anderen, ins Kloster einzutreten, entgegenzuwirken.
Dass dies in der Zeit des monastischen Aufbruchs und der »Massenkonversionen«
ein reales Problem darstellte, wird auch bei anderen zeitgenössischen Autoren deut-
lich.1613 So gefährdeten Mönche, die mit ihrem vorherigen Leben nicht vollkommen
gebrochen hatten und nicht aus voller Überzeugung ins Kloster eingetreten waren,
exterius in divitiis renovando correxit; domnus etiam Walbertus, qui in ecclesia nostra prior existens,
post multos annos in Catalaunensi episcopatu in cenobio quod dicitur Mons Sancti Martini abbas est
factus ibique defunctus; domnus etiam Gonhardus, qui multis annis prioratum ecclesie nostre tenuit;
domnus quoque Bernuinus. [...] Videns siquidem eos nimis esse superbos, per aliquot dies eos vaccas
mulgere et caseum facere precepit sicque probatis monasticum habitum tradidit.«
1611 Hermann, Liber, c. 67, S. 118: »[...] si quomodo ab abbate Odone probati fuerint referre audisses,
vix pre immensitate leticie risum tenere potuisses.« Der Hinweis auf das Lachen steht im Gegensatz
zu jenem Verhaltenskodex, an den Hermann im Zusammenhang mit der Strenge Odos erinnert. Da
Hermann diese Verhaltensweise, die eigentlich nicht toleriert werden durfte, nicht kritisiert, gibt er zu
erkennen, dass er eine weit weniger strikte Auffassung von der Umsetzung dieses monastischen Ideals
hatte.
1612 Hermann, Liber, c. 62, S. 112: »[...] Non te«, inquit abbas, »susccipiam, donec proberis secundum
regulam sancti Benedicti dicentis Probate Spiritus, si ex Deo sunt. Vade ergo et publice coram populo
victum tuum laborando quere, aquam ad tabernas portando, ligna cedendo, equorum stabula mund-
ando et similia ubi opus videris faciendo.« Exequitur ille libenter abbatis Imperium, omnique rubore
procul posito, vilissimis se submittit operibus.«
1613 VgL besonders Guibert de Nogent, Autobiographie, III, c. 25, S. 172-174. Dort wird berichtet, wie ein
ehemaliger Ritter, der nicht ganz mit dem vormaligen Leben gebrochen hatte, Geld unterschlug und
dafür von Gott schwer bestraft wurde.
Bereits an diesen Beispielen wird deutlich, welchen Zweck die Proben hatten:
Die Aspiranten sollten nicht nur zeigen, dass sie willens waren, den Weisungen
des Abtes Folge zu leisten, sondern auch ihr bisheriges Leben und vor allem ihren
Stolz abzulegen. Entscheidend war dabei, dass die Proben vor den Augen der Be-
wohner von Tournai stattfanden und somit eine besonders große Wirkung hatten:
zum einen, weil dadurch für jedermann ersichtlich wurde, wer sich bekehrt hatte,
zum anderen, weil der Aspirant sich öffentlich demütigte. Dass die bewusste De-
mütigung Ziel dieser Proben war, gibt Hermann zu erkennen, wenn er sich an den
Leser wendet und zur Probe der vier Kanoniker bemerkt: »Wenn Du hörst, wie sie
von Odo auf die Probe gestellt wurden, wirst Du Dich kaum vor Lachen halten
können.«1611 Nicht weniger demütigend waren die Aufgaben, die Odo Hermanns
Vater Rudolf nach dessen Bekehrung auferlegte. So habe er den ehemaligen Vogt
von Tournai erst aufnehmen wollen, nachdem er bewiesen habe, was die Regel des
heiligen Benedikt besagt: »Prüfet den Geist, ob er von Gott kommt«. Er befahl da-
her: »Geh und verdiene Dein Essen vor aller Augen durch Arbeit, geh Wasser holen
für die Tavernen, schlage Holz, miste Ställe aus und übe andere Tätigkeiten aus, die
getan werden müssen.« Rudolf tat wie ihm befohlen und widmete sich den nied-
rigsten Aufgaben, ohne sich dafür zu schämen.1612 Für Odo waren die Proben also
eine Möglichkeit, die Motivation der Bekehrten zu prüfen und dem allzu impulsi-
ven Entschluss des einen oder anderen, ins Kloster einzutreten, entgegenzuwirken.
Dass dies in der Zeit des monastischen Aufbruchs und der »Massenkonversionen«
ein reales Problem darstellte, wird auch bei anderen zeitgenössischen Autoren deut-
lich.1613 So gefährdeten Mönche, die mit ihrem vorherigen Leben nicht vollkommen
gebrochen hatten und nicht aus voller Überzeugung ins Kloster eingetreten waren,
exterius in divitiis renovando correxit; domnus etiam Walbertus, qui in ecclesia nostra prior existens,
post multos annos in Catalaunensi episcopatu in cenobio quod dicitur Mons Sancti Martini abbas est
factus ibique defunctus; domnus etiam Gonhardus, qui multis annis prioratum ecclesie nostre tenuit;
domnus quoque Bernuinus. [...] Videns siquidem eos nimis esse superbos, per aliquot dies eos vaccas
mulgere et caseum facere precepit sicque probatis monasticum habitum tradidit.«
1611 Hermann, Liber, c. 67, S. 118: »[...] si quomodo ab abbate Odone probati fuerint referre audisses,
vix pre immensitate leticie risum tenere potuisses.« Der Hinweis auf das Lachen steht im Gegensatz
zu jenem Verhaltenskodex, an den Hermann im Zusammenhang mit der Strenge Odos erinnert. Da
Hermann diese Verhaltensweise, die eigentlich nicht toleriert werden durfte, nicht kritisiert, gibt er zu
erkennen, dass er eine weit weniger strikte Auffassung von der Umsetzung dieses monastischen Ideals
hatte.
1612 Hermann, Liber, c. 62, S. 112: »[...] Non te«, inquit abbas, »susccipiam, donec proberis secundum
regulam sancti Benedicti dicentis Probate Spiritus, si ex Deo sunt. Vade ergo et publice coram populo
victum tuum laborando quere, aquam ad tabernas portando, ligna cedendo, equorum stabula mund-
ando et similia ubi opus videris faciendo.« Exequitur ille libenter abbatis Imperium, omnique rubore
procul posito, vilissimis se submittit operibus.«
1613 VgL besonders Guibert de Nogent, Autobiographie, III, c. 25, S. 172-174. Dort wird berichtet, wie ein
ehemaliger Ritter, der nicht ganz mit dem vormaligen Leben gebrochen hatte, Geld unterschlug und
dafür von Gott schwer bestraft wurde.