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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0416
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412 | III. Die Abtei Saint-Martin in Tournai

von den abbates comprovinciales 1131 in Reims besonders betont wurden und sich
letztlich in den besagten Abänderungen des Ordos niederschlugen.1645 So wird man
versucht sein, in Hermanns Darstellung der Geschichte des Martinsklosters eine
deutliche Anspielung auf diesen Ordo zu sehen. Indem Hermann das propositum
der Generalkapitel mit der Geschichte des Martinsklosters verband, unterstützte er
die von den abbates comprovinciales vorangetriebene correctio.
In der Tat ist die Parallele zwischen beiden proposita augenfällig und darf sicher-
lich als gewollt betrachtet werden. Doch sind jene Kategorien, mit denen Hermann
das propositum vergangener Tage formulierte, so weit und vage, dass sie nur eine
grobe Annäherung an das propositum der Generalkapitel darstellten. Zudem ist das
propositum von Saint-Martin zum einen noch weit vielfältiger, beinhaltete es doch
beispielsweise auch in besonderem Maße die intellektuelle Betätigung und die Auf-
nahme von Frauen. Zum anderen lässt sich dieses propositum streng genommen in
mehrere proposita aufgliedern, die nicht nur die verschiedenen Entwicklungspha-
sen des Martinsklosters widerspiegeln, sondern auch die verschiedenen Abstufun-
gen des zelus religionis. Odos anfängliche proposita waren sehr streng und fromm,
aber, wie Hermann bemerkt, eben nicht realisierbar. Bei der buchstabengetreuen
Befolgung der normativen Texte und besonders der Texte Cassians mangelte es am
notwendigen Wissen.1646 Diese Aussage Hermanns ist mehr als interessant und nicht
nur eine Kritik an Odos Eifer. Vielmehr spricht sich der Chronist aus Tournai an
dieser Stelle gegen einen blinden zelus religionis aus, der - wie gezeigt wurde - auch
den abbates comprovinciales zugesprochen wurde und weder auf die lokalen Gege-
benheiten und Gepflogenheiten noch auf die Bedürfnisse der Brüder Acht gab.1647
Die verschiedenen erinnerten proposita des Liber de restauratione sind in sich
nicht kohärent und gleichen eher Versatzstücken, mit denen sich die verschiedenen
innerklösterlichen Gruppen, die sich je nach spiritueller Ausrichtung oder Interes-
sen formierten, identifizieren konnten. In diesem Zusammenhang kommt Odo eine
zentrale Rolle zu, da er letztlich das streng asketische Leben und ein Leben nach
dem ordo cluniacensis in seinen unterschiedlichen Ausprägungen verband. Er war
somit eine wichtige Integrationsfigur in der Gemeinschaft, die dazu beitragen soll-
te, eine kollektive Identität zu schaffen. Angesichts der Tatsache, dass die abbates
1645 Siehe dazu oben S. 30-35.
1646 Hermann, Liber, c. 39, S. 78.
1647 Die Urkunde Papst Innozenz II. von 1135, die das Vorhaben der abbates comprovinciales billigt und
unterstützt, weist darauf hin, dass der Ordo Clunys auch durch die Regeln der Väter Abänderungen
erfahren hatte. Hiermit könnte auf die Texte Cassians angespielt sein. J. P. Gerzaguet, Les chartes de
l’abbaye d’Anchin, D 61, S. 157: »Proinde quod vestro communi decreto de ordine monastic conser-
vando et correctione fratrum secundum beati Benedicti et aliorum sanctorum Patrum regulas vestra
discretione constituerit [...].«
 
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