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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0450
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446 | IV. Die Abtei von Anchin

die Historiographie Anchins, die so großen Wert auf eine detaillierte Schilderung
der Anfänge der Gemeinschaft legt, eine etwaige Einführung der cluniazensischen
Gewohnheiten mit keinem Wort erwähnt.
Es stellt sich daher die Frage, wie glaubhaft die Aussagen Hermanns und der
Chronik von Affligem sind. Bei beiden handelt es sich um Texte, die einige Jahr-
zehnte nach den beschriebenen Ereignissen entstanden sind. Hermanns Liber de
restauratione zielt zudem darauf ab, die Bedeutung seines Klosters hervorzuheben.
Gerzaguet geht davon aus, dass Hermann und die Chronik von Affligem die Rol-
le, die Anchin Mitte des 12. Jahrhunderts spielte, auf das Ende des 11. Jahrhunderts
projizierten.1777 Zumindest im Fall von Hermann handelt es sich um kein Versehen,
sondern um eine bewusste Projektion, da er gleich zwei Mal auf die frühe clunia-
zensische Prägung Saint-Martins und Anchins zu sprechen kommt. Der Fall der
Chronik von Affligem ist dagegen durchaus glaubwürdig, da sie lediglich die Hil-
festellungen Anchins anführt und mit keinem Wort die Einführung der Gewohn-
heiten von Cluny erwähnt. Hier handelt es sich somit um eine reine Konstruktion
der älteren Forschung.1778
Ob Anchin bereits vor 1092 mit den cluniazensischen Gewohnheiten in Kontakt
gekommen war, ist somit mehr als fraglich. In der jüngeren Forschung geht man
vielmehr davon aus, dass sich das Kloster erst ab 1111 an den Gewohnheiten Clunys
orientierte.

3.3. Die Gewohnheiten von Anchin
Aus der Abtei von Anchin sind vier Handschriften überliefert, die die klösterlichen
Gewohnheiten beinhalten.1779 Gerzaguet konnte zeigen, dass die Handschrift Dou-
ai, BM, ms. 541 das älteste Exemplar der Gewohnheiten Anchins darstellt, und da-
Bertinum. Cui successit in cura pastorali Rotbertus, eiusdem coenobii monachus, qui electus fuerit
[...].« fußt. Der Brief der Gemeinschaft von Anchin an Bischof Lambert, Epistolae Lamberti, MPL
162, ep. 104, Sp. 685 bezeichnet Robert dagegen alsfratrem nostrum.
1777 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 126, dieser Meinung schließt sich S. Vanderputten, Abbatial
Leadership, S. 44-45 an.
1778 Grund zu der Annahme, Titubaldus und Rodulphus hätten den ordo cluniacensis eingeführt, ge-
ben die aus Affligem überlieferten Consuetudines (Consuetudines Affligenienses, S. 107-199). Nach
A. M. Helvetius, Aspects de l’influence de Cluny, S. 58-59 und G. Despy, Les benedictins en Brabant,
S. 115 spielte der ordo cluniacensis in dieser Abtei nach 1122 keine Rolle mehr.
1779 Es handelt sich dabei um die Handschriften Douai, BM, ms. 541, 544, 555, 557. J. P. Gerzaguet, Le
necrologe et le coutumier, S. 173 zeigt, dass ms. 544 eine vollständige Abschrift von ms. 541 ist, die 1592
von Francois de Bar angefertigt wurde. Ms. 555 ist eine unvollständige Abschrift der Gewohnheiten
Bernhards von Cluny aus dem 15. Jahrhundert und war wohl nie in Gebrauch. Ms. 557 datiert ebenfalls
ins 15. Jahrhundert und zeigt keinerlei Gebrauchsspuren.
 
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