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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0465
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5. Die zeitgenössischen Texte als Überreste der correctio | 461

liefert. Dieser Brief, der unmittelbar nach dem Tod Odos verfasst wurde, greift
gewissermaßen die Form einer Vita auf, die das Bild eines heiligen Mannes zeichnet.
Amands Brief macht indirekt aber auch deutlich, dass Anchin Anspruch auf Odos
Leichnam erhob.1838 Die Tatsache, dass das Auctarium, das wohl ab 1113 - dem
Todesjahr Odos - entstanden sein dürfte, seiner Person, seinen Idealen und seinem
Wirken so große Bedeutung einräumt, untermauert die Vermutung, dass Alvisus zu
Beginn seiner Amtszeit den Versuch unternommen hatte, in Anchin einen Kult um
Odo zu etablieren. Odo, der auf besondere Weise das Ideal der Weltflucht realisier-
te, sich aus freiem Willen einem streng asketischen Leben widmete, in Anchin sehr
wohl bekannt war und bereits zu Lebzeiten verehrt wurde, sollte nun nach seinem
Tod den Mönchen Orientierung geben, der Gemeinschaft kollektive Identität stif-
ten und damit nicht zuletzt die correctio des Alvisus unterstützen.1839
5.2. Das Auctarium und der zelus religionis der 1130er Jahre
Der zweite Teil des Auctarium, der die 1130er Jahre abdeckt, wird von einem wei-
teren großen Thema dominiert, nämlich der Person Aiberts von Crespin.1840 Das
Auctarium berichtet, dass sich ein Mönch aus Crespin namens Aibert mit Geneh-
migung seines Abts als reclusus aus der Gemeinschaft zurückgezogen hatte und als
solcher zu Berühmtheit gelangte. In jener Zeit habe es nämlich keinen Mann oder
wenn, dann nur ganz wenige gegeben, die mit ihm vergleichbar gewesen wären.
Denn Aibert habe sich 24 Jahre lang von Brot und bis auf zwei Jahre auch von
jeglicher Art von Getränken enthalten.1841 Zudem habe er eigenhändig eine Kapelle
errichtet, die 1134 fertiggestellt und von Bischof Liethard von Cambrai feierlich
eingweiht wurde. 40 Tage lang sei die Kapelle von Gläubigen aus allen Gegenden
aufgesucht worden. Der Erzbischof von Reims, seine Suffragane und die Äbte der
Kirchenprovinz seien Aibert gegenüber durchaus wohlwollend eingestellt gewesen.
Als aber furchtbare Gerüchte über seinen Lebenswandel aufkamen, verboten sie
den Gläubigen, ihn weiterhin zu besuchen. Um den Verdacht aus der Welt zu schaf-
1838 Dass es zwischen beiden Abteien zu einem Streit um den Leichnam Odos gekommen war, berichtet
Hermann, Liber, c. 100, S. 167-168; siehe dazu oben S. 356.
1839 Die Förderung eines Kultes um Odo von Tournai könnte auch dazu gedient haben, die Bande zwischen
beiden Abteien zu verstärken.
1840 Zu Aibert vgl. Ch. Dereine, Ermites, reclus et recluses, S. 301-305; Ders., La critique de la Vita de Saint
Aybert; A. B. Mulder-Bakker, Anachorites in the Low Countries, S. 33.
1841 Auctarium, S. 395: »1130. Domnus Albertus ex monacho Crispiniensis coenobii assensu et consensu
Lambert abbatis claret in Gallia reclusus; vir nostris temporibus nulli, aut fere rarissimo comparandus.
Hic viginti quatuor annis ab omni pane abstinuit, et totidem ab omni potu, exceptis duobus; quod dictu
mirum est.«
 
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