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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0468
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464 | IV. Die Abtei von Anchin

Liebe zu Gott habe er sein Amt niedergelegt und das Kloster von Anchin ausge-
wählt, um dort als reclusus zu leben. Gerzaguet sieht darin einen Hinweis darauf,
dass sich auf der Insel in der Scarpe eine eremitische Tradition bewahrt hat und die-
se eventuell sogar weithin bekannt war.1849 Im Gegensatz zu den Annalen schenkt
das Auctarium dem asketischen Leben Gelduins größere Beachtung. Insgesamt drei
Mal habe sich Gelduin, wie bereits erwähnt, an verschiedenen Orten als reclusus
niedergelassen, was seine große Frömmigkeit unterstreichen sollte.1850
Die Fälle Gelduins und Aiberts machen somit deutlich, dass es in Anchin durch-
aus eine eremitisch asketische Tradition gab und dass diese Lebensweise einen be-
sonders hohen Stellenwert genoss. Während im Falle Gelduins das ständige, aber
letztlich doch immer wieder vergebliche Streben nach der Verwirklichung seiner
individuellen Frömmigkeit im Mittelpunkt steht, verschiebt sich in den 1130er Jah-
ren der Fokus auf die konkrete Lebensweise des Asketen und die Frage nach dessen
Heiligkeit.
Insgesamt lassen die Einträge des Auctarium, die den Zeitraum zwischen 1079
und 1135 abdecken, einen sehr deutlichen Akzent auf einer eremitisch-asketischen
Lebensweise erkennen. Die beiden Phasen, die es bei der Abfassung des Auctarium
mit großer Wahrscheinlichkeit gegeben hat, korrespondieren dabei mit wichtigen
Einschnitten in der Klostergeschichte: Der erste Teil steht im Zusammenhang mit
der Bewältigung der schweren Krise in Anchin, mit der vor allem Alvisus betraut
war. Das Auctarium war somit ein bedeutendes Medium, das die correctio der Ge-
meinschaft unterstützen sollte. Es trug maßgeblich dazu bei, der Gemeinschaft wie-
der Orientierung zu geben und kollektive Identität zu stiften. Dies geschah nicht
nur durch das Erinnern an die besonders asketischen Anfänge Anchins, sondern
auch durch die Verehrung Odos von Tournai. Eine zweite große Gestalt, die den
Mönchen von Anchin als Vorbild diente, ist der Inkluse Aibert von Crespin. Die
ihm gewidmeten Einträge entstanden zu Beginn des Abbatiats Gossuins und sind
ein Stück weit im Kontext der Generalkapitel und der Verteidigung einer strengeren
Lebensweise zu sehen.
Das Auctarium gibt letztendlich zu erkennen, dass die correctio von Anchin
nicht ausschließlich auf den spirituellen Bereich abzielte, sondern in hohem Maße
dazu beitragen sollte, eine gemeinschaftliche Identität zu schaffen. Die Geschichte
des Klosters aber auch das Erinnern an die großen Förderer und an die Beziehungen
mit der Außenwelt nahmen hierbei einen wichtigen Platz ein und machen deutlich,
dass auch das soziale Umfeld des Klosters sehr großen Anteil an der correctio von
Anchin hatte.
1849 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 55.
1850 Siehe dazu oben S. 433-435.
 
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