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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0480
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476 | IV. Die Abtei von Anchin

dürften für diese Entwicklung mehr als förderlich gewesen sein.1906 Unter seiner
Führung wurde Anchin zu einem kulturellen Zentrum, das bisweilen die umlie-
genden Abteien überstrahlte. Cerny ist zudem der Überzeugung, dass die Produk-
tivität des Skriptoriums mit den »Reformbestrebungen« Gossuins Zusammenhän-
gen. So sei es notwendig gewesen, jene Gemeinschaften, die einen »Reformimpuls«
aus Anchin erhalten hatten, mit Handschriften und Texten auszustatten.1907 Diese
Überlegung trifft allerdings nur zum Teil zu. So verügte beispielsweise Marchi-
ennes, dessen correctio in Verbindung mit Mönchen aus Anchin stand, selbst über
sehr große und alte Bibliotheksbestände, auf die die Mönche von Anchin mitunter
zurückgreifen mussten, um ihre eigenen Exemplare zu erstellen.1908 Die überlie-
ferten Handschriften machen in Hinblick auf ihren Inhalt und ihre künstlerische
Gestaltung dennoch deutlich, dass Anchin durchaus zu einem wichtigen kulturellen
und intellektuellen Zentrum der Gegend aufgestiegen war. Dies zeigen nicht zuletzt
die überlieferten Bestände der Bibliothek.
Von den 147 Handschriften, die aus dem 12. Jahrhundert aus Anchin überlie-
fert sind, entfällt ein übergroßer Anteil, 82 %, auf die Schriften der Kirchenväter
(67,3%) und hagiographische Werke (15,6%).1909 Die Zahl der liturgischen und
auch der didaktischen Werke ist dagegen recht gering.1910 Die ersten Listen, die Teil-
bestände der Bibliothek anführen, stammen aus dem 13. Jahrhundert, decken sich
aber großteils mit den überlieferten Beständen.1911
Der Bestand patrologischer Werke umfasst neben den klassischen Texten vor
allem der Kirchenväter auch weit aktuellere Werke. Dies spiegelt sich beispielswei-
se auch in De novitiis instruendis, das seine Zitate, wie Breitenstein nachweisen
konnte, mitunter aus den Handschriften der Bibliothek von Anchin bezog. Bei den
Zitaten stellt er zudem fest, »daß es sich zu einem großen Teil um zeitgenössische
1906 An die große Gelehrsamkeit Gossuins wird vor allem in der Zeit vor seiner Konversion erinnert; vgl.
R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 5, S. 19-24.
1907 P. Cerny, Die romanische Buchmalerei, S. 62.
1908 Dazu M. Breitenstein, De novitiis instruendis, S. 61; K. E Werner, Andreas von Marchiennes, S. 460.
1909 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 164. Vgl. Anm. 71 mit einer Liste sämtlicher Signaturen.
1910 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 164 zählt zwei liturgische Werke, acht Handschriften mit Teilen
der Bibel und fünf Grammatiken.
1911 Zur ersten Liste vgl. Douai, BM, ms. 260, gedruckt bei Dehaisnes, Catalogue generale, Bd. 6, S. 765-
766. Hier wird auf die Handschriften Douai, BM, ms. 2, 5, 15, 17, 18, 493, 508, 837 verwiesen. Die
zweite Liste befindet sich auf dem letzten Folio von Douai, BM, ms. 212; J. P. Gerzaguet, L’abbaye
d’Anchin, S. 166 gelang es einige der angeführten Titel zu identifizieren. J. Gessler, Une bibliotheque
scolaire glaubte allerdings in einer Handschrift, die ab dem 16. Jahrhundert in der Bibliothek von
Anchin nachgewiesen ist, einen Bibliothekskatalog der Abtei aus dem 12. Jahrhundert gefunden zu
haben. Diese Vermutung widerlegte A. Boutemy. Vgl. dazu die Chronique in: Revue beige de Philolo-
gie et d’Histoire 18 (1939), S. 765 und 20 (1941), S. 356. A. Boutemy konnte zeigen, dass es sich dabei
mit Sicherheit nicht um die Bibliotheksbestände von Anchin handelte, sondern um die einer anderen
nordfranzösischen Abtei.
 
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