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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0481
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6. Die spirituelle Prägung der Gemeinschaft in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts | 477

und mithin >aktuelle< Texte handelt«, was umso bemerkenswerter sei, da diese nicht
zum bekannten Lektürekanon an Kloster-, Dom und Stiftsschulen gehörten.1912 Die
Abtei von Anchin konnte somit zu Recht den exklusiven Anspruch eines intellek-
tuellen Zentrums erheben. Und eben dieser wurde von den Mönchen auch aktiv
gefördert, was nicht zuletzt daraus ersichtlich wird, dass sich ab der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts bestimmte Sammelschwerpunkte feststellen lassen. Dies gilt
zum einen für die Werke Hugos von Saint-Victor, die zwar in großer Zahl, aber
nicht vollständig verteten waren.1913 Zum anderen gilt dies für die Werke Bernhards
von Clairvaux. Das sogenannte Corpus Bernardinum aus Anchin zählt bis heute
zu den ältesten Sammlungen des Gesamtwerks Bernhards von Clairvaux.1914 Es ist
zudem vollständiger als die von Jean Mabillon angefertigte Edition, die in den Pa-
trologia Latina abgedruckt wurde.1915 Aber nicht nur die inhaltliche Vollständigkeit
des Gesamtwerks Bernhards zeugt von einer besonderen Verehrung für die Lehren
und Betrachtungen des großen Zisterziensers, sondern auch die prachtvolle Ge-
staltung der Handschriften.1916 Die Abschrift der Werke wurde von einem Schrei-
ber namens Siger angefertigt.1917 Watkin Williams datiert sie auf die Zeit vor 1174,
also vor die Kanonisation Bernhards.1918 An rein textanalytischen Kriterien glaubte
1912 M. Breitenstein, De novitiis instruendis, S. 61.
1913 M. Breitenstein, De novitiis instruendis, S. 65; zur Überlieferung der Werke Hugos in Anchin und
Marchiennes vgl. J. Miethke, Herkunft Hugos von Saint-Victor, S. 244-248.
1914 Vgl. zu dieser Bewertung: W. Williams, The Anchin Manuscript, S. 242-254; A. Boutemy, Enluminu-
res, S. 244-245; J. Leclercq, Poemes ä la louange, S. 619. Neben den Werken Bernhards findet sich auch
eine für die Forschung äußerst wichtige Version der Vita Bernardi, die eine Art Mischform der Vita a
und der Vita b darstellt; vgl. dazu A. H. Bredero, Bernhard von Clairvaux, S. 52-57.
1915 MPL 182, 183; W. Watkin, The Anchin Manuscript, S. 247, [S. 154].
1916 Besonders eindrucksvoll ist fol. lOOr, auf dem Bernhards De gradibus humilitatis mit einer großen
Darstellung der Jakobsleiter beginnt. Diese stamme nach P. Cerny, Die romanische Buchmalerei,
S. 47-48 aus der Hand des Gregoriusmeisters.
1917 Zu Siger vgl. J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 169; zu Siger als Kopist der Werke Bernhards vgl.
W. Williams, The Anchin Manuscript, S. 246-247: In allen drei Bänden der Handschrift gibt sich Siger
als Kopist zu erkennen. In Band I steht auf fol.2r: »Ora pro misero pater o Bernarde Sigero / Qui tua
collegit et in unum scripta redegit.« Die erste Initiale von Band II zeigt einen Schreiber, der als »Sigeris«
betitelt wird. Am Ende von Band III findet sich auf fol. 132r folgender kurzer Text: »Lector divine tibi
fercula do medicine / Dum legis hos apices hac prece redde vices / Christe tua miserum salva pietate
Sigerum / Atque locum det ei labor et über hic requiei. Amen.«; A. Boutemy, Enluminures, S. 245.
1918 W. Williams, The Anchin Manuscript, S. 247 stellt fest, dass: »The absence of any ascription of sanctitas
or of beatitude to St Bernard is no conclusive proof that it is written before the canonization in 1174.«
Eine Datierung nach 1174 sei seiner Meinung nach durchaus möglich: »On the contrary it may be said
that the prayer: >Ora pro misero pater o Bernarde Sigero< on fol. 2 of vol. I, taken in connection with
some verses addressed by Siger to Christ and St Bernard at the beginning of vol. II, is sufficient proof of
a postcanonization date.« Eine Datierung an das Ende des 12. Jahrhunderts schließt er aus (S. 247), da
im Text durchgängig das E-caudata Verwendung findet, das zu dieser Zeit durch ein einfaches e ersetzt
wird. P. Sejourne, Les inedits Bernardins, S. 266 geht von einer Datierung nach 1165 aus: »Notre ma-
nuscrit est certainement posterieur ä 1165, puisqu’il parle de Geoffroy d’Auxerre quondam Clareval-
lensi abbate.« A. Boutemy, Enluminures, S. 244 spricht sich für eine Datierung vor der Kanonisierung
aus, da Bernhard in der Darstellung der Jakobsleiter (Bd. I, fol. lOOr) ohne Nimbus dargestellt wird.
 
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