7. Die Vita Gosuini prima | 497
nach der Welt rieche und den Mönchsstand {conditio) beleidige.2009 Abschließend
bemerkt der Verfasser der Vita, dass Gossuin so innerhalb kürzester Zeit die mo-
nasticae disciplinae erlernt habe. Diese umfassen das Erlernen der divina officia
(Psalmen, Hymnen und Gesänge), die Erbauung der Seele durch die Lektüre und
schließlich das Gebet.2010
Aus dieser Passage wird somit deutlich, dass das Erlernen (und in gewisser Weise
auch das Wiedererlernen des Mönchtums) im Zuge einer correctio auf zwei Pfeilern
beruhte. Zum einen sollte der Mönch die für seine Lebensweise notwendigen Prak-
tiken erlernen. Neben den genannten liturgischen Gesängen könnte die erwähnte
Lektüre auf die von Benedikt vorgeschriebene dreimalige Lektüre der Regel ver-
weisen.2011 Zum anderen sollte den Mönchen im Kloster, das heißt in der »Schule
der Tugenden«, eine Verinnerlichung der monastischen Ideale zuteil werden. Der
verwendete Begriff observantia lässt sich letztlich auf beide Bereiche beziehen und
umschreibt somit am ehesten eine für das Mönchtum notwendige Grundhaltung,
nämlich die völlige Hingabe an die Regel und die monastischen Ideale. Im hagio-
graphischen Diskurs verkörpert Gossuin diese in besonderer Weise.
7.3. Gossuin, ein idealer Mönch und Abt
In der Vita prima und der Vita secunda fungiert die Person Gossuins als das Ideal
eines Mönchs und Abtes. Bei den meisten Idealen, die in diesen beiden Texten the-
matisiert werden, handelt es sich um Stereotype, die dazu dienen sollen, die Hei-
ligkeit Gossuins unter Beweis zu stellen und zu illustrieren. Der hagiographische
Diskurs bildet darüber hinaus jene Ideale und Verhaltensweisen ab, mit denen sich
die Mönche von Anchin in den 1170er bis 1180er Jahren identifizierten oder iden-
2009 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 14, S. 55-56: »[...] & multo studiosius minimas assumptipropositi
observantias addiscebat, quam antea argutas subtilitates, vel subtiles argutias docuisset. Docebatur in
virtutum schola quod mundae debeant esse milites Christi cogitationes, discretae loquutiones, irre-
prehensabiles actiones, ut nil admittat manus, mens, lingua, quod dedeceat Monachum, saecularitatem
redoleat, offendat conditionem. « Zum Begriff des propositum vgl. M. Breitenstein, De novitiis instru-
endis, S. 82; zur Überwachung von Hand, Geist und Zunge vgl. das Kapitel De periculo detractorum
im Traktat De novitiis instruendis (ebd., S. 117).
2010 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 14, S. 56-57: »In brevi monasticis adeo disciplinis est informatus,
& super omnes docentes se intellexit, [...]. Instructus etiam apprime armis, quae congruent procinctui
Salvatoris, hoc est divinis officiis eruditus, deinceps pascepat animum lectione, residuum temporis
oratione transigebat, [...]. Psalmis, hymnis, canticis, spiritualibus sic animum applicabat, sic insistebat
lectioni, sic orationi, frequentabat, ut horam reficiendi multoties testatus sit se pro perdita reputare,
quod tune nil horum facere sineretur.«
2011 RB 48, 1-25 thematisiert die Lektüre von Büchern im klösterlichen Alltag; vgl. dazu auch H. Hauke,
Der Stellenwert des nichtliturgischen Lesens.
nach der Welt rieche und den Mönchsstand {conditio) beleidige.2009 Abschließend
bemerkt der Verfasser der Vita, dass Gossuin so innerhalb kürzester Zeit die mo-
nasticae disciplinae erlernt habe. Diese umfassen das Erlernen der divina officia
(Psalmen, Hymnen und Gesänge), die Erbauung der Seele durch die Lektüre und
schließlich das Gebet.2010
Aus dieser Passage wird somit deutlich, dass das Erlernen (und in gewisser Weise
auch das Wiedererlernen des Mönchtums) im Zuge einer correctio auf zwei Pfeilern
beruhte. Zum einen sollte der Mönch die für seine Lebensweise notwendigen Prak-
tiken erlernen. Neben den genannten liturgischen Gesängen könnte die erwähnte
Lektüre auf die von Benedikt vorgeschriebene dreimalige Lektüre der Regel ver-
weisen.2011 Zum anderen sollte den Mönchen im Kloster, das heißt in der »Schule
der Tugenden«, eine Verinnerlichung der monastischen Ideale zuteil werden. Der
verwendete Begriff observantia lässt sich letztlich auf beide Bereiche beziehen und
umschreibt somit am ehesten eine für das Mönchtum notwendige Grundhaltung,
nämlich die völlige Hingabe an die Regel und die monastischen Ideale. Im hagio-
graphischen Diskurs verkörpert Gossuin diese in besonderer Weise.
7.3. Gossuin, ein idealer Mönch und Abt
In der Vita prima und der Vita secunda fungiert die Person Gossuins als das Ideal
eines Mönchs und Abtes. Bei den meisten Idealen, die in diesen beiden Texten the-
matisiert werden, handelt es sich um Stereotype, die dazu dienen sollen, die Hei-
ligkeit Gossuins unter Beweis zu stellen und zu illustrieren. Der hagiographische
Diskurs bildet darüber hinaus jene Ideale und Verhaltensweisen ab, mit denen sich
die Mönche von Anchin in den 1170er bis 1180er Jahren identifizierten oder iden-
2009 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 14, S. 55-56: »[...] & multo studiosius minimas assumptipropositi
observantias addiscebat, quam antea argutas subtilitates, vel subtiles argutias docuisset. Docebatur in
virtutum schola quod mundae debeant esse milites Christi cogitationes, discretae loquutiones, irre-
prehensabiles actiones, ut nil admittat manus, mens, lingua, quod dedeceat Monachum, saecularitatem
redoleat, offendat conditionem. « Zum Begriff des propositum vgl. M. Breitenstein, De novitiis instru-
endis, S. 82; zur Überwachung von Hand, Geist und Zunge vgl. das Kapitel De periculo detractorum
im Traktat De novitiis instruendis (ebd., S. 117).
2010 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 14, S. 56-57: »In brevi monasticis adeo disciplinis est informatus,
& super omnes docentes se intellexit, [...]. Instructus etiam apprime armis, quae congruent procinctui
Salvatoris, hoc est divinis officiis eruditus, deinceps pascepat animum lectione, residuum temporis
oratione transigebat, [...]. Psalmis, hymnis, canticis, spiritualibus sic animum applicabat, sic insistebat
lectioni, sic orationi, frequentabat, ut horam reficiendi multoties testatus sit se pro perdita reputare,
quod tune nil horum facere sineretur.«
2011 RB 48, 1-25 thematisiert die Lektüre von Büchern im klösterlichen Alltag; vgl. dazu auch H. Hauke,
Der Stellenwert des nichtliturgischen Lesens.