Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0515
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
7. Die Vita Gosuini prima | 511

gut zwanzig Jahre nach der Gerhards statt und steht nicht im Zusammenhang mit
mehreren direkt nacheinander folgenden Abtswahlen.2089 Im Falle Hautmonts muss
es also andere Gründe für den Widerstand Gossuins gegeben haben, die sich nicht
mehr nachvollziehen lassen.2090
Der Fall Lietberts von Marchiennes ist dagegen weit besser dokumentiert und
wurde bereits an anderer Stelle thematisiert.2091 Der Konflikt, der um die Wahl eines
Nachfolgers Lietberts zwischen der Gemeinschaft von Marchiennes und Bischof
Alvisus erwuchs, könnte mehrere Ursachen gehabt haben. Vanderputten sieht
darin einen möglichen Hinweis darauf, dass Alvisus das vom Generalkapitel begon-
nene, aber letztlich auf längere Sicht gescheiterte Projekt der Vereinheitlichung und
Kontrolle des Mönchtums auf der Ebene seines Bistums fortsetzen wollte. Er habe
daher ein Mitspracherecht bei der Neuwahl des Abtes von Marchiennes gefordert,
was freilich dem Anspruch der dortigen Mönche auf freie Abtswahl zuwider lief.2092
Angesichts der Rolle, die Alvisus nach dem Zeugnis der Gesta abbatum Lobbien-
sium bei der Wahl des Leonius von Lobbes eingenommen hat, ist diese These nicht
von der Hand zu weisen. Auch die Bemerkung des Andreas von Marchiennes, Abt
Lietbert habe die künftigen examines gefürchtet und deshalb sein Amt niederge-
legt, scheinen diesen Verdacht zu erhärten.2093 Fest steht jedenfalls, dass Alvisus als
Bischof in die inneren Angelegenheiten einer Abtei eingreifen wollte, zu der er eine
besondere Beziehung hatte. Als Abt von Anchin förderte er die correctio dieser
Gemeinschaft sehr stark und war wohl danach bestrebt, die enge Bindung zwischen
beiden Häusern zu erhalten.2094 Dass diese Bestrebungen aber nicht unbedingt in
beider Einvernehmen geschahen, macht der Konflikt um die Nachfolge Lietberts
deutlich. Die Gemeinschaft von Marchiennes gab darin klar zu verstehen, dass sie
ihre einstige Eigenständigkeit wiedererlangen, bewahren und gegen die Interessen
des Bischofs verteidigen wollte.

2089 Die letzte nachweisliche Wahl eines Mönchs aus Anchin vor 1155 ist jene Lietberts von Marchiennes;
vgl. dazu die Liste bei J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 199.
2090 Zu Hautmont vgl. auch A. M. Helvetius, Aspects de l’influence de Cluny, S. 63, die vermutet, dass diese
Abtei spätestens 1130 den ordo cluniacensis befolgte.
2091 Siehe dazu oben S. 246.
2092 S. Vanderputten, A Time of Great Confusion, S. 71-72 hält im Falle des Alvisus drei Motive für mög-
lich: Zunächst könnte Alvisus wütend darüber gewesen sein, dass ihn die Mönche bei ihrer Wahl nicht
nach seiner Meinung gefragt haben. Oder aber sie lehnten den Kandidaten des Alvisus ab. Schließlich
könnte auch die Herkunft des neuen Abtes, Odo, aus der großen Cluniazenserabtei von Saint-Martin
des Champs eine Rolle gespielt haben, da Alvisus versucht habe, den Einfluss Clunys in seinem Bistum
einzudämmen.
2093 Andreas von Marchiennes, Miracula, c. 4, Sp. 110 A: »Cum ergo Abbas, qui venerabili Amando jam
defuncto successerat, onus Pr^lationis attenderet; laborem coepit adhorrere, & stricti examinis futuri
timere discussionem.« Vgl. dazu auch S. Vanderputten, A Time of Great Confusion, S. 67-68.
2094 Siehe dazu oben S. 246.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften