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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0520
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516 | IV. Die Abtei von Anchin

schließen. Eine besondere Affinität lässt sich außerdem zu den Zisterziensern er-
kennen. Die Kontakte zwischen Citeaux und Anchin sind dabei sehr vielfältig und
reichen von persönlichen Kontakten über die Translation von Reliquien und den
künstlerisch stilistischen Einfluss in der Buchmalerei bis hin zu einem besonderen
Interesse an den Werken Bernhards von Clairvaux.2097
Diese große spirituelle Offenheit der Abtei von Anchin spricht somit sehr deut-
lich gegen eine Kategorisierung von Klöstern anhand ihrer spirituellen Ausrich-
tung. Anchin war ein Kloster, das sich anhand seiner Lebensweise und Spiritualität
weder Cluny noch Citeaux oder anderen Bezugsgrößen wie zum Beispiel den Ge-
neralkapiteln eindeutig zuordnen lässt. Die Gemeinschaft orientierte sich an einer
Vielzahl von Inspirationsquellen und dies auch noch in der zweiten Hälfte des
12. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die Abgrenzung vor allem der religiösen Orden
stark fortgeschritten war.
Das bedeutendste Werk aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist zweifels-
ohne die Vita Gosuini prima, die kurze Zeit nach dem Tod Abt Gossuins verfasst
wurde. Zusammen mit dem paränetischen Werk De novitiis instruendis diente auch
diese Lebensbeschreibung letztlich zur Erbauung der Brüder: Im Gegensatz zu De
novitiis instruendis, das in der Tradition der Florilegien steht, vermittelt die Vita
Gosuini prima die Grundpfeiler für ein gottgefälliges Leben am konkreten Bei-
spiel der Person Gossuins; die klösterlichen Ideale werden dadurch anschaulicher,
stärker im Kontext und für den Leser weit eingängiger vermittelt als in De novitiis
instruendis.
Die Vita Gosuini prima ist zudem ein Text, der wertvolle Einblicke in die Vor-
stellung von correctio der 1160/70er Jahre liefert. Unterschiede zum Beginn des
12. Jahrhunderts lassen sich dabei kaum finden: Eine correctio war stets nach in-
nen - das heißt das Leben innerhalb der Gemeinschaft, aber auch das Innenleben
eines jeden Mönchs - und nach außen - das heißt die Beziehungen mit dem sozialen
Umfeld - gerichtet. Die innere Erneuerung einer Gemeinschaft zielte dabei nicht
primär auf die Befolgung von Regeltexten und Gewohnheiten ab, sondern in erster
Linie auf die Verinnerlichung monastischer Tugenden. Zudem kommt der discretio
eine zentrale Rolle zu: Sie war nicht nur die wichtigste Tugend, mit der ein Mönch
den klösterlichen Alltag bewältigen sollte, sondern auch Garant für den Erfolg ei-
ner correctio: Gossuin, der mehrmals mit der inneren correctio einer Gemeinschaft
betraut wurde, hatte vor allem durch die discretio bei seinen Entscheidungen und
seinem Führungsstil längerfristigen Erfolg. Diese correctiones (Saint-Medard, Saint-
Crepin in Soissons und Saint-Remi in Reims) gingen aber, wie die Vita berichtet,
2097 Die Klosterbibliothek von Anchin hatte noch weitere Sammelschwerpunkte (z. B. Hugo von Saint-
Victor) und zeugt von einem sehr breit angelegten Interesse für Schriften zur vita religiosa.
 
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