Einleitung des Herausgebers
LXXV
betrafen die angebliche Unentschiedenheit der Haltung - Buri sprach von der »Gefahr
eines Schwebenbleibens im bloß Möglichen«353 - und zielten auf die praktische Umset-
zung der von Jaspers geforderten Erneuerung religiösen Glaubens. Wenn der philoso-
phische Glaube tatsächlich »im Religiösen« verborgen war, wie Jaspers behauptet hatte,
musste er dann »dem Religiösen« nicht viel näher sein, als Jaspers wahrhaben wollte?
Die Frage wurde dringlicher, nachdem Jaspers in seinem Beitrag zur Festschrift für Hein-
rich Barth gegenüber der christlichen Offenbarung auf Abstand gegangen war. Buri
nahm diese Distanzierung zum Anlass, nach der Christlichkeit des philosophischen
Glaubens zu fragen.354 Ist das Sichgeschenktwerden ein spezifisch christliches, an eine
konkrete Heilszusage geknüpftes Phänomen oder lediglich eine allgemein menschliche
Erfahrung? Seine Pointe war, dass der philosophische Glaube nur im ersten Fall
imstande sei, den christlichen Glauben zu erneuern: Kommt der Impuls nicht von in-
nen, vermag er nicht zu zünden, sondern wird als Bevormundung von außen empfun-
den. Buri konfrontierte Jaspers mit der Alternative, entweder den Widerstand gegen
den christlichen Glauben oder den Anspruch seiner Erneuerung aufzugeben, und da
er selbst für eine Erneuerung eintrat, legte er ihm unverhohlen die erste Option nahe.
Nach dem Erscheinen des Philosophischen Glaubens angesichts der Offenbarung zwei
Jahre später wählte Buri einen anderen Weg, Jaspers für Theologie und Kirche zu ge-
winnen. Da er die Rezension des Buches mit einer Würdigung zum 80. Geburtstag ver-
band, trat die Kritik naturgemäß in den Hintergrund. Stattdessen äußerte er seinen auf-
richtigen Dank für den Beitrag, den Jaspers nicht nur mit diesem Buch, sondern mit
seinem gesamten Lebenswerk zur Selbstverständigung des christlichen Glaubens ge-
leistet habe. Nichts, so resümierte Buri, könne diesen Dank angemessener zum Aus-
druck bringen, als in den Bahnen von Jaspers über Jaspers hinauszudenken und ein-
zuholen, was ohnehin auf der Linie seines Philosophierens liege: dass Christus eine
Chiffer der Transzendenz sei. Buris einnehmende Umarmung gipfelte darin, dass er
Jaspers kurzerhand zu einem »Lehrer der Kirche« ernannte: »Weder Barth noch Hei-
degger, weder Bultmann noch Tillich sind in der Lage, uns heute zu zeigen, wie glaub-
würdig von Offenbarung zu reden ist. So paradox es scheinen mag: Der Wirklichkeit
der Offenbarung ansichtig zu werden vermag Theologie nur auf dem Wege eines phi-
losophischen Glaubens, der sich »angesichts der Offenbarung< versteht. Darum sehen
wir in Jaspers nicht nur den grossen Philosophen, sondern auch einen massgebenden
Lehrer der Kirche. Eine grössere Anerkennung könnte ihm »von der anderen Seite< her
wohl nicht zuteil werden.«355 Damit waren Spannungen vorprogrammiert.
353 F. Buri: Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens, TI. i, 42.
354 Vgl. F. Buri: »Theologie mit Jaspers und Heidegger« (1960), in: ders.: Zur Theologie der Verantwor-
tung, 71-84, hier: 78-81.
355 F. Buri: »Sich selber geschenkt werden« (1963), in: ders.: Zur Theologie der Verantwortung, 57-61,
hier: 61.
LXXV
betrafen die angebliche Unentschiedenheit der Haltung - Buri sprach von der »Gefahr
eines Schwebenbleibens im bloß Möglichen«353 - und zielten auf die praktische Umset-
zung der von Jaspers geforderten Erneuerung religiösen Glaubens. Wenn der philoso-
phische Glaube tatsächlich »im Religiösen« verborgen war, wie Jaspers behauptet hatte,
musste er dann »dem Religiösen« nicht viel näher sein, als Jaspers wahrhaben wollte?
Die Frage wurde dringlicher, nachdem Jaspers in seinem Beitrag zur Festschrift für Hein-
rich Barth gegenüber der christlichen Offenbarung auf Abstand gegangen war. Buri
nahm diese Distanzierung zum Anlass, nach der Christlichkeit des philosophischen
Glaubens zu fragen.354 Ist das Sichgeschenktwerden ein spezifisch christliches, an eine
konkrete Heilszusage geknüpftes Phänomen oder lediglich eine allgemein menschliche
Erfahrung? Seine Pointe war, dass der philosophische Glaube nur im ersten Fall
imstande sei, den christlichen Glauben zu erneuern: Kommt der Impuls nicht von in-
nen, vermag er nicht zu zünden, sondern wird als Bevormundung von außen empfun-
den. Buri konfrontierte Jaspers mit der Alternative, entweder den Widerstand gegen
den christlichen Glauben oder den Anspruch seiner Erneuerung aufzugeben, und da
er selbst für eine Erneuerung eintrat, legte er ihm unverhohlen die erste Option nahe.
Nach dem Erscheinen des Philosophischen Glaubens angesichts der Offenbarung zwei
Jahre später wählte Buri einen anderen Weg, Jaspers für Theologie und Kirche zu ge-
winnen. Da er die Rezension des Buches mit einer Würdigung zum 80. Geburtstag ver-
band, trat die Kritik naturgemäß in den Hintergrund. Stattdessen äußerte er seinen auf-
richtigen Dank für den Beitrag, den Jaspers nicht nur mit diesem Buch, sondern mit
seinem gesamten Lebenswerk zur Selbstverständigung des christlichen Glaubens ge-
leistet habe. Nichts, so resümierte Buri, könne diesen Dank angemessener zum Aus-
druck bringen, als in den Bahnen von Jaspers über Jaspers hinauszudenken und ein-
zuholen, was ohnehin auf der Linie seines Philosophierens liege: dass Christus eine
Chiffer der Transzendenz sei. Buris einnehmende Umarmung gipfelte darin, dass er
Jaspers kurzerhand zu einem »Lehrer der Kirche« ernannte: »Weder Barth noch Hei-
degger, weder Bultmann noch Tillich sind in der Lage, uns heute zu zeigen, wie glaub-
würdig von Offenbarung zu reden ist. So paradox es scheinen mag: Der Wirklichkeit
der Offenbarung ansichtig zu werden vermag Theologie nur auf dem Wege eines phi-
losophischen Glaubens, der sich »angesichts der Offenbarung< versteht. Darum sehen
wir in Jaspers nicht nur den grossen Philosophen, sondern auch einen massgebenden
Lehrer der Kirche. Eine grössere Anerkennung könnte ihm »von der anderen Seite< her
wohl nicht zuteil werden.«355 Damit waren Spannungen vorprogrammiert.
353 F. Buri: Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens, TI. i, 42.
354 Vgl. F. Buri: »Theologie mit Jaspers und Heidegger« (1960), in: ders.: Zur Theologie der Verantwor-
tung, 71-84, hier: 78-81.
355 F. Buri: »Sich selber geschenkt werden« (1963), in: ders.: Zur Theologie der Verantwortung, 57-61,
hier: 61.