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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0114
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

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trauen, weil das Gewissen in meinem Innern fordert und eine Liebe mich bewegt, in
dem Maße als ich beiden folge. Diese sind wirklich. Zwar ist des Gewissens Stimme ob-
jektiv gültig erfahren, schlechthin verpflichtend. Aber sie ist nicht unmittelbar Got-
tes Stimme. Zwar kann die Liebe sich nicht als einzige, von Gott gewollte begründen.
Aber mit der Liebe und dem Gewissen stehe ich vor der Transzendenz als dem Grund
der Welt und meiner Freiheit. Doch sie antwortet nicht dem Menschen, der philoso-
phierend lebt, wie sie dem Offenbarungsgläubigen nach dessen Aussage antwortet, so
daß er weiß, was Gott je und je will. Wenn wir die Glaubensvorstellungen von Gott als
persönlichem Willen uns als Chiffernsprache schwebend zu eigen machen, so kann
das Vertrauen (»doch will er treu sich alle Zeit mit uns verbünden«)3 nach ständiger
Selbstprüfung sich aussprechen, im Innern, nur für sich selbst: Gott will, daß dies von
mir getan werde, daß | dies in der Welt sei, daß ich hierfür leben solle (obgleich doch 9
Wille und Zweck nur endlichen Wesen, nicht der Transzendenz eigen sind). Was aber -
in der Chiffer weiter zu reden - Gott will, bleibt mit dem Vertrauen zugleich in der
Frage. Es ist nie absolut gewiß, was ich tun solle. Auf eigene Verantwortung muß ich
es finden. Ich bin mir dessen gewiß, aber unter Gefahr nicht nur des rationalen, son-
dern auch des existentiellen Irrens. Wenn ich redlich mich bemüht habe - nie darf ich
wissen, daß ich es genügend getan habe -, dann vertraue ich, daß ich in der Transzen-
denz gleichsam »angenommen« wurde, daß dort trotz allem Unheil in der Welt und
der Fragwürdigkeit meiner selbst eine Geborgenheit sei.
Der Offenbarungsgläubige weiß mehr. Er kann sich aber mit allen Menschen nur
dann verbinden, wenn er das allgemein menschliche Medium anerkennt, die gren-
zenlose Kommunikation, aufsteigend mit Gründen des Verstandes, mit Antrieben der
Vernunft, mit dem Erwecken existentieller Möglichkeiten. Dann ist die Folge: Seinen
Offenbarungsglauben wird er nur in freier Verkündigung mitteilen, aber ohne Forde-
rung und erst recht ohne Zwang, sei dieser in der direkten Gewalt durch Drohung mit
Waffen vollzogen, sei er indirekt ausgeübt durch Anbieten materieller Vorteile zugleich
mit dem Glaubensangebot an Menschen in der Not, oder durch politische Ämterpatro-
nage seitens der Konfessionen usw. Seinen Offenbarungsglauben wird er nie als Recht-
fertigung und Begründung verwenden. Denn was dieser ihm innerlich ist, das kann er
nicht nach außen sein, weil die Kommunikation in dem Augenblick abgeschnitten ist,
wo einer mit dem Anspruch auf Geltung für alle sagt: Gott will es. Dann ist das allge-
meine, alle Menschen der Möglichkeit nach verbindende Medium verlassen. Es bleibt
das furchtbare Wort: wir können nicht miteinander reden, wir können miteinander
beten (wenn ich mich recht erinnere von Luther).4 Furchtbar, weil es das menschlich
Mögliche aufhebt zugunsten einer Unterwerfung unter einen Gott, der doch faktisch
nur von menschlicher Instanz in der Welt vertreten wird, und weil es die Betenden
in verschiedene Glaubensgruppen trennt, die gegeneinander allzu oft in der Vergan-
genheit nur noch Gewalt kannten: Sie beten alle und schlagen sich tot. Sie dienen alle
Gott, und jede nimmt Gott für sich allein in Anspruch.
 
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