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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0159
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58

Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

Sie sind ihrem Gehalt nach jedoch keineswegs hinfällig für den die Offenbarung
nicht Glaubenden. Nur ist das Verhältnis zu ihnen ein anderes, freies. Denn nun sind
Propheten, Inspiration, Apostel Erscheinungsweisen eines Eintritts von Wahrheit in
56 die Welt. Die Erscheinungs|weisen werden in den Chiffern »Prophet«, »Inspiration«,
»Apostel« aufgefaßt. Das hat zwei Folgen:
Erstens: Die Chiffer kann anklingen im Selbstverständnis des einzelnen Menschen.
So kann etwa das Bewußtsein, Werkzeug eines Umgreifenden zu sein, zu tun und zu
denken, was die Transzendenz fordert, in deren Dienst zu sein ich zwar nicht weiß,
aber als Möglichkeit spüre, für das Geheimnis des Sollens der Notwendigkeit in der Er-
fahrung des Müssens eine Chiffer werden, die bescheiden macht (die »humilitas« des
Menschen erzeugt und erhellt). Diese Chiffer kann aber wahr nur sein, wenn sie als
Anspruch des Menschen an sich selbst, nicht wenn sie zur Rechtfertigung des An-
spruchs an andere auftritt. Denn nicht dadurch, daß ich mich für ein Werkzeug halte,
sondern durch das, was ich tue, was ich einsehe und sage, habe ich zu bewähren, ob
es wahr sein kann und welcher Gehalt darin liegt.
Zweitens: Was als Offenbarung auftritt, als Prophet, durch Inspiration, als Apostel
verkündet, kann als solches noch nichts gelten. Chiffer ist Möglichkeit, nicht Realität.
Daher unterliegt alles, was heilige Absolutheit und bedingungslose Autorität in An-
spruch nimmt, der Kritik. Ein jeder hat zu prüfen durch die eigne mögliche Existenz,
was der Prophet sagt, was durch Inspiration in die Welt tritt, was der Apostel bezeugt.
Diese Kritik ist nicht - wie Theologen uns glauben machen wollen - Kritik an Gott,
nicht törichte Vorschrift des Menschen an Gott, was er könne und nicht könne, son-
dern Kritik an den Instanzen in der Welt, die die Vollmacht in Anspruch nehmen, im
Namen Gottes zu sprechen. Menschen, durch welches Amt, durch welches Glaubens-
bekenntnis auch immer, bleiben Menschen, die für uns, die wir an Offenbarung nicht
zu glauben vermögen, nur fälschlich als Gehorsam gegen Gott verlangen, was Gehor-
sam gegen ihre Positionen wäre.
Das ist kein Urteil über Gott, sondern über menschliche Ansprüche. Was im Offen-
barungsglauben zur Erscheinung kommt, ist der Konfessionsstatistik nach nur für eine
Minorität der Menschheit, und in dieser Minorität faktisch wieder doch nur für eine
zweite Minorität das Wort Gottes selber. Für uns ist es eine Welt von Chiffern, nicht
von Gottesrealitäten, - ist schwebende Sprache der Transzendenz, nicht reale Hand-
lung Gottes, - ist Deutbarkeit möglichen Sinns, nicht Gegenstand des Gehorsams.
Was für den Offenbarungsgläubigen Wirklichkeit ist, das ist es nicht schlechthin.
Wir sprechen nicht gegen Gott, sondern gegen den menschlichen Anspruch, Gott zu
vertreten. Wir müssen aussprechen, was für uns gilt: - negativ: es gibt keine direkte Rea-
lität Gottes in der Welt, keinen Gott, der in der Welt durch eine Instanz von Amt, Wort,
Sakrament spräche, dem Gehorsam zu leisten wäre, - positiv: Gott hat uns geschaffen
zur Freiheit und Vernunft, in denen wir uns geschenkt werden, in beiden verantwort-
57 lieh vor einer Instanz, die wir in uns selbst finden als | das, was unendlich mehr ist als
 
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