Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0164
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

63

Heute ist die Dialektik im Marxismus und in der Theologie am Werke als ein Zauberschlüs-
sel. Sie wird wie etwas methodisch Absolutes, nicht mehr zu Überschreitendes behandelt. Es ist,
als ob denkende Menschen heute sich ihrer nicht erwehren, weil sie die Methode nicht metho-
disch durchleuchten könnten. Sie wird als etwas Selbstverständliches, Bekanntes vorausgesetzt.
Aber in jedem einzelnen Falle ist die Frage: In welchem bestimmten und begrenzten Sinn ist
hier eine Weise der Evidenz gegenwärtig? Ist etwa die dialektische Redeweise ein Mittel, Wider-
sprüche als unwesentlich zuzulassen, sich ihnen zu entziehen, um in der Tat etwas ganz Undia-
lektisches, eine unhaltbare Leibhaftigkeit des Soseins Gottes zu schützen, oder um eine für den
Augenblick erwünschte eindeutige Forderung, sie als Moment der Bewegung zur Vollendung
hin deutend, mit scheinbarem Tiefsinn zu verschleiern? Denn mit der Dialektik läßt sich der
das Denken preisgebende Gehorsam gegen einen Gott, der doch nur als eine menschliche Er-
scheinung unter anderen auftritt, fordern. Und mit der Dialektik läßt sich die brutale, je nach
Situation wechselnde Parteilinie rechtfertigen, wenn man die Dialektik als Realdialektik des
Geschehens, als die Notwendigkeit auffaßt, die als die einzige allbeherrschende Kausalität, als
Monokausalität, die Freiheit des Menschen in die Unterwerfung unter das Diktat der von der
Parteiinstanz erkannten Notwendigkeit verkehrt.
Chiffern sind zwar ins Unendliche deutbar und umdeutbar, als sie selber konkret und
bestimmt. Aber sie werden in der Verkehrung zur Leibhaftigkeit gegenständlich ding-
haft.
Dialektik als Form der Denkbewegung im Verstehen erhellt das Bewußtsein in der
offenen Schwebe. Aber sie wird zum Mittel der Verdunkelung, wenn sie stranden las-
sen will an Tatsächlichkeiten in Raum und Zeit als dem Absoluten, das Gott sei, und
dem man sich nun, ganz undialektisch, zu unterwerfen habe.

d. Der Kampf um die Reinheit des Reiches der Chiffern
1. Chiffer der Transzendenz oder Chiffer der Offenbarung
»Offenbarung des Wortes Gottes überhaupt ist göttliche Zeichengebung«.'140 Ich frage
nach dem Unterschied dieser Zeichen von allen anderen Zeichen, die wir Chiffern nen-
nen. Die Zeichen der Offenbarung sollen Zeichen einer verborgenen Offenbarungs-
handlung sein, die Chiffern wären Zeichen der Transzendenz. Offenbarungshandlung
und Transzendenz der Gottheit sind gleich verborgen. Aber die Zeichen der Offenba-
rungshandlung soll ich als Zeichen einer Realität verstehen, die Chiffern der Transzen-
denz kann ich nicht als solche Zeichen verstehen. | Der Unterschied der Zeichen der 62
Offenbarung und der Chiffern der Transzendenz ist der, daß dort die Realität eines Ak-

Karl Barth, Zwischen den Zeiten Jg. 7 (1929) S. 432. Der Theologe möge mir verzeihen, wenn ich auf
den folgenden Seiten einige seiner Sätze in meinem für ihn gewiß törichten Sinn beklopfe, tö-
richt, weil meine Sätze für ihn, wie ich vermute, doch wohl nur Ausdruck eines verständnislosen
und beklagenswerten Unglaubens sein können.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften