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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0226
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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die Klärung von Voraussetzungen, die Entfaltung von Möglichkeiten, der Entwurf von
Bildern, die Konstruktion von Gedanken, kurz: ein Denken, das den philosophischen
Raum erzeugt, in dem die Philosophie wirklich wird nur dadurch, daß der Einzelne
sich selbst verwirklicht, den Mut seiner Liebe gewinnt, seine Gemeinschaft findet,
seine von ihm nie gewußte, aber ihn führende Bestimmung in der Welt erfüllt, seinen
Ort im Meer des Seins spürt, seine je einzige Geschichtlichkeit erfährt in der Geschicht-
lichkeit der Erscheinung aller Dinge. Das Entscheidende kann in allen Darstellungen
nur indirekt gesagt sein. Daher haben die Sätze, die nicht in der Sphäre zwingend rich-
tiger allgemeingültiger Wissenschaft liegen, trotz ihrer behauptenden Formulierung
den Sinn einer Frage an das Selbstsein. Erst wenn dieses im Zuhörenden wie | im Mit-
teilenden antwortet durch jenes Mitdenken, das inneres Handeln wird, gewinnen die
Darstellungen ihren philosophischen Gehalt.
(c) Das Historische: Auf das Historische wird Bezug genommen nicht um des histo-
rischen Wissens willen. Wir sehen historische Tatbestände von noch gegenwärtiger
Wirkungskraft. Wir sehen Mächte am Werke, denen wir ins Angesicht blicken. Sie alle
sind in Menschen da, an Menschen gebunden und damit im Ursprung des Menschen
mitgeboren. Noch wo wir uns gegen sie wehren, sind wir selber in ihnen. Sie zu sehen,
steigert die eigenen Möglichkeiten.
Manche Gedanken begegnen uns historisch in unüberholbarer Konsequenz und
Größe. In dem, was Menschen dachten, erkennen wir wieder, was wir, ohne es schon
zu wissen, suchten. In ihrer Aneignung und Abwehr kommen wir zu unserem Denken
eigener Verantwortung.
(d) Festes Behaupten und methodologisches Bewußtsein: Der Satz als solcher ist Behaup-
tung. Er erhebt den Anspruch auf Zustimmung schlechthin. Eine Darstellung, die diese
unumgängliche Sprachform zugleich als Denkverfassung zum Grunde hätte, würde
bedeuten: Hinführung auf feste Sätze, auf feste Positionen. In ihnen liegt die Befriedi-
gung des Lesers, solche Positionen zu gewinnen, denen er in dogmatischen Gedan-
kenbewegungen sich anschließen kann. Ihm wird etwas in die Hand gegeben. Er
braucht als er selbst nichts zu tun.
Dieses Verfahren ist dem Lernenden in den Gebieten rationaler Gegenstandser-
kenntnis, wo diese eine Vollendung erreicht hat, gemäß. Es kann auch philosophi-
schen Gedankengebilden eigen sein. Hier aber wird die Steigerung der Darstellung zur
Mitteilung absoluter Erkenntnis eine Täuschung. Sie erleichtert und beschränkt zu-
gleich.
Anders ist die Darstellung, die etwas mitteilen will, was selber nicht geradezu als
Gegenstand da ist. Sie zeigt eine Denkungsart, die aus einem Ursprung wirkt und die-
sen Ursprung zu vergegenwärtigen sucht, ohne daß das, worauf es ankommt, Gegen-
stand werden kann.
Dann ist in der Darstellung selber schon anzustreben, daß der Denkende vom Ge-
dachten, der Leser vom Dargestellten zur Distanz gebracht wird. Das geschieht da-

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