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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0231
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ißo

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

b. Offenbarungsglaube und Glaube überhaupt
Historisch gibt es den Offenbarungsglauben und den philosophischen Glauben, beide
in vielfachen Gestalten. Den Offenbarungsglauben sehen wir in den Formen, die sich
auf die Bibel gründen, ferner im Islam, im Hinduismus, Konfuzianismus. Ist Glaube
der allgemeine Begriff, unter den der philosophische und der Offenbarungsglaube
fallen, und Offenbarungsglaube der allgemeine Begriff, unter den als ein Fall neben
anderen der christliche Offenbarungsglaube gehört?
49 i. Der Gattungsbegriff der Offenbarung ist zu bestimmen als die | unmittelbare, zeit-
lich und räumlich lokalisierte Kundgabe Gottes durch Wort, Forderung, Handlung,
Ereignis. Gott gibt seine Gebote, er stiftet Gemeinschaft, er erscheint unter Menschen,
er gründet den Kultus. Es geschieht durch objektiven Einbruch von außen.
Der Inhalt der Offenbarung hat keinen überall gleichen, der allgemeinen religiö-
sen Natur des Menschen entspringenden Charakter. Er gilt jeweils in der bestimmten
Gestalt mit besonderen Vorstellungen, Forderungen, Riten, Heiligkeiten, die als un-
veränderlich gelten.
Der Gattungsbegriff bedeutet, daß die in der Geschichte aufgetretenen Offen-
barungsreligionen von außen gesehen nebeneinander stehen, während sie von in-
nen gesehen jede sich nicht als Fall, sondern als die einzige und ganze Wahrheit be-
greifen.
Würde Offenbarung ein Allgemeinbegriff sein, dann gäbe es in der Tat mehrere Of-
fenbarungen, unter denen die biblische ein Fall wäre. Für den Glaubenden aber han-
delt es sich nicht um die Abstraktion eines Offenbarungsbegriffs im allgemeinen, son-
dern um die Wirklichkeit eines absolut Geschichtlichen.
2. Der Begriff des Glaubens überhaupt läßt sich so bestimmen:
Glaube ist nicht ein Wissen von etwas, das ich habe, sondern die Gewißheit, die
mich führt.
Durch Glauben lebe ich aus dem Ursprung, der in gedachten Glaubensinhalten zu
mir spricht. Untrennbar ist der Glaube, durch den ich glaube, und der Glaubensinhalt,
den ich mir vorstelle. Subjekt und Objekt des Glaubens sind eins. Glaubend zu leben
und glaubend an etwas zu leben sind nur miteinander möglich.
Glaube ich, so will ich den Glaubensinhalt denken. Will ich aber den Glaubensin-
halt nicht nur denken, sondern als Wissensbesitz in Dogmen und Bekenntnissen ha-
ben, der mir zur Verfügung steht, gleichgültig, was ich selber bin, dann soll er mir die
Gewißheit als Sicherheit geben, ohne daß aus mir selbst der Ursprung des Glaubens
entgegenkommt. Daher kann ich, vor der Transzendenz und mir selbst versagend,
glaubenslos im Willen zum Glauben, in der Angst des Auf-mich-selbst-Angewiesen-
seins mit den anderen gemeinschaftlich, durch Gemeinschaft getragen und gesichert,
»glauben«, was wir als Glaubensinhalt bekennen.
 
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