Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0270
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

169

ger Wechselwirkung von Entwurf und Bestätigung oder Widerlegung durch reale Er-
scheinungen erkennt. Jenes Sehen vollendet sich in seiner Gegenwärtigkeit, dieses For-
schen weiß sich, je großartiger es sich vollzieht und je klarer es sich bewußt wird,
immer nur auf dem Wege, auf dem die eindrucksvollsten Erkenntnisse doch immer
nur Schritte und für den bewußtesten Forscher nur Anfänge sind. Dem Forscher kam
es darauf an, das wissenschaftlich Mögliche rein herauszuarbeiten.
Diese Spannung hat bis heute ihren Grund in einem Grundtatbestand allen For-
schens. Die modernen Wissenschaften sind erwachsen je in einem von eigentümli-
cher philosophischer Substanz erfüllten Raum: in der weltfrommen Eiebe zur Natur
erwuchsen die Motive zu den Naturwissenschaften, in der tiefsinnigen Naturphiloso-
phie der Alchemie die Chemie, in der Anschauung des Allebens die Biologie, in dem
humanistischen Bildungswillen durch geschichtliche Aneignung des Klassischen die
philologischen und historischen Wissenschaften. Überall ist die Freude an Wirklich-
keiten der Ursprung für den Willen, sie genau zu kennen und zu erkennen. Dann aber
können sich die Wissenschaften, unter Preisgabe der Spannung, von diesem Grunde
lösen. Sie werden Betrieb, Technik, philologische Stoffkonsumtion. In gesteigerter me-
thodischer Akribie kann ihr Sinn verloren gehen. Wo die Wissenschaften ihren Sinn
bewahren, bleiben sie | im Forscher getragen von dem, was nicht Wissenschaft, son-
dern Philosophie ist, und das er überwindet, indem er es verwandelt, nicht indem er
es vernichtet.
Diese Spannung führt in jedem Erkenntnisgebiet zu eigentümlichen Schwierigkei-
ten. Ein Beispiel sind die historischen Geisteswissenschaften: Diese bewegen sich auf
zwei wissenschaftlichen Ebenen. Mit dem philosophischen Humanismus erwuchs die
Philologie, die Kritik, die Feststellung historischer Realitäten, die Editionstechnik, die
Sprachforschung, das antiquarische Wissen. Dies alles wurde der wissenschaftlich
klare, unerläßliche Unterbau. Auf der zweiten Ebene, dem Sinnverstehen selber in sei-
nem ganzen Umfang und seiner ganzen Tiefe, war der Weg aus der humanistischen
Bildungsverfassung zur Wissenschaft schwieriger. Angewiesen auf das kongeniale
Dabeisein und auf das Formulierenkönnen, wurden außerordentliche hermeneutische
Leistungen hervorgebracht, etwa in Hegel und der Romantik. Das Verfahren sollte in
der »historischen Schule« Wissenschaft werden. Aber solange die Methoden zur Kon-
trolle der Richtigkeit des Verstehens und das Bewußtsein der Vielfachheit der Verste-
hensmöglichkeiten noch mangelhaft und nicht ständig gegenwärtig waren, blieben
die Erkenntnisse noch verstrickt in willkürliche Anschauungen. Ein wesentlicher
Schritt innerhalb der modernen Wissenschaftlichkeit ist daher die Konstituierung der
sinnverstehenden Wissenschaften des Geistes durch die faktische und theoretische
Klärung der bis dahin genial geübten, aber wissenschaftlich unklaren Methoden des
Verstehens (ein Repräsentant dieses Schrittes ist Max Weber).
Das Ergebnis der letzten Jahrhunderte ist: Durch große Forscher wurde die Selb-
ständigkeit, die Unabhängigkeit, die Richtigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis auf

98
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften