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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0279
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

griechischen, indischen, chinesischen Philosophie berührt wurde, das nimmt sie als
ihr Eigentum. Dann pflegt aber die Theologie ihre Gegner, denen sie Methoden und
Gehalte des Denkens entlehnt hat, abwertend zu charakterisieren: sie stehen in hal-
ber Wahrheit, im Entscheidenden ohne Wahrheit. Daß dem Gegner abgestritten wird,
was ihm selber zu eigen gehört, das ist in allen christlichen Jahrhunderten dasselbe.
109 Über die Philosophie wird auch | heute von Theologen das Urteil in schärfsten Formu-
lierungen bis zur völligen Verneinung gesprochen.
Und doch bewegen beide sich in einem gemeinsamen Denkraum. Wir fragen: Ist
etwa ein eigentümliches Denken, das philosophisch-spekulative, der Philosophie und
Theologie gemeinsam? Oder ist das Denken des Offenbarungsglaubens ein spezifisches
Denken, das sogar als Denken nur vom Gläubigen vollzogen werden kann? Dann könn-
ten wir, die der Offenbarung nicht glauben, es nicht verstehen. Aber es teilt sich doch
mit in Denkformen, die wir kennen. Deshalb meinen wir es denkend verstehen zu müs-
sen. Das würde in jenem gemeinsamen Raum der Spekulation geschehen, der für den
bloßen Verstand, der doch auch dort bei jedem Schritte gebraucht wird, unzugänglich
ist. Die Geschichte lehrt, daß damit Offenbarungsgläubigen nicht Genüge geleistet wird.
(4) Wenn die Philosophie und ihre Sache von der Theologie »natürlich« genannt
wird, so wehrt sie sich. Denn solche »Natürlichkeit« als ein von einem andern Wirk-
lichen Unterschiedenes würde die Philosophie ergänzungsbedürftig machen. Dies
möchte eine Theologie, die die Philosophie als Vorstufe, als Mittel zuläßt, aber sie da-
mit ihres Eigenwesens beraubt und zu einer Wissenschaft degradiert. Philosophierend
sollen wir uns nicht gedankenlos den Kategorien der Theologen unterwerfen, die un-
ser Tun von einem höheren Standpunkt aus zu übersehen meinen und als bloße »Na-
tur«, »natürliche Vernunft«, es damit beschränkend, charakterisieren. Die Philosophie
darf nicht in der Enge einer unterschiedenen Natürlichkeit absterben.
Die »Natur« des Menschen ist nicht schon erschöpft mit dem, was er als Gegen-
stand physiologischer und psychologischer Erforschbarkeit ist. Die »natürliche« Ver-
nunft ist nicht erschöpft mit dem bloßen Verstand als dem Punkt des Bewußtseins
überhaupt, das zu richtiger zwingender Erkenntnis fähig ist. Die »Natur« des Menschen
ist vielmehr sein Wesen, das im Sichgeschenktwerden als Existenz die Welt erblickt,
einsieht, was ist, von den Chiffern bewegt wird, sich entscheidet im Entschluß. Der
Bezug auf Transzendenz ist das, woraus wir leben. In diesem Bezug wissen wir uns auf
einem Wege oder wir suchen ihn oder erlangen ein unbestimmbares Vertrauen. Was
der »natürliche« Mensch sei, ist offen. Es gibt keine vom Übernatürlichen geschiedene
bloße Natürlichkeit.
Dem Philosophierenden wird die Erfahrung, daß die Realität einer Offenbarung,
110 die von Gott ausgeht und doch der menschlichen | Interpretation bedarf, dem Gottes-
gedanken selber nicht entspricht.
Sich dem Offenbarungsglauben zu versagen, ist nicht die Folge von Gottlosigkeit,
sondern die Folge des Glaubens der von der Transzendenz als frei geschaffenen Existenz.
 
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