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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0285
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

die beiden anderen Umgreifenden dessen, was wir sind, sein zu können. Denn die ob-
jektive Phantasie des Lebendigen in seinen Gestaltungen ist nur ein Analogon der
Phantasie des bewußten Geistes. -
Mit diesen drei Ursprüngen sind wir noch nicht das, was wir sein können. Es über-
fällt uns ein Ungenügen:
Dasein ist das zerrinnende Leben aus nichts in nichts. Nach dem Jubel des sich ei-
nen Augenblick vollendenden Lebens, nach dem Schmerz der Hinfälligkeit überfällt
es die Langeweile der Wiederholung und das erschreckende Wissen, als Dasein schon
den Keim des Verderbens in sich zu haben.
Bewußtsein überhaupt denkt endlos auch das Gleichgültige. Nach der Befriedigung
an zwingender Richtigkeit ergreift es die Öde des bloß Richtigen.
Geist kann in dem Zauber seiner Schöpfungen die Herrlichkeit von Seifenblasen
sehen. Die Fülle der in der Phantasie sich abschließenden Harmonie kann den Bruch
aller Vollendung an der Realität erfahren. Der Reichtum der sich häufenden Ganz-
heiten wird schal, die Freiheit des schönen Spiels zur Spielerei. -
Wir sind mit den drei Umgreifenden noch nicht wir selbst, bleiben ohne Führung,
gewinnen keinen Boden. Oder sind sie alles? Bin ich am Ende nirgends ich selbst? Ist
die Grenze der drei (Dasein, Bewußtsein überhaupt, Geist) nur die Leere des Nichts?
Falle ich in diesen Abgrund? Bin ich nur der rücksichtslose Eigenwille meines leben-
digen Daseins, nur ein vertretbarer Punkt richtigen Denkens, nur das Blühen eines
Geistes in schöner Täuschung?
Der Grund des Selbstseins, die Verborgenheit, aus der ich mir entgegenkomme, das,
als was ich frei mich selbst hervorbringe, indem ich mir geschenkt werde, ist in jenen
drei Umgreifenden, wenn sie nichts als diese sind, verschwunden. Diesen Grund aber,
diese Freiheit, dies, daß ich ich selbst sein, mit anderem Selbst in Kommunikation ich
selbst werden kann, nennen wir mögliche Existenz.
Existenz ist in keiner Anschaulichkeit als solche zu beobachten. Während Dasein
ist als Realität der biologischen Erscheinung, das Bewußtsein überhaupt sich zeigt in
den aufzeigbaren Kategorien und Methoden des Denkens durch das Werk der Wissen-
schaften, der Geist sichtbar ist in seinen Schöpfungen, hat Existenz keine zu ihr gehö-
rende faßbare Objektivität. Sie ist auf die drei Weisen des Umgreifenden, als ihr Me-
117 dium der Erscheinung angewiesen. Existenz | kann nicht Objekt werden, daher nicht
Gegenstand einer Wissenschaft (wie Leben, Denken, Geist). -
In den drei Weisen gibt es eindeutige Mitteilbarkeit. Existenz kann sich in diesen
drei Medien nur indirekt mitteilen. Daher gibt es die unbestimmbare Grenze der Mit-
teilung und die unbegreifliche Kommunikation. Zur existentiellen Mitteilung gehört
das unbeabsichtigte Schweigen als erfülltes Schweigen, in dem in der Tat die verläß-
lichste Kommunikation erfolgt. Darum gibt es in ihr auch durch Unoffenheit und ab-
sichtliches Schweigen den Verrat, der jedoch niemals objektiv nachweisbar ist und nie-
mals vorgeworfen werden kann. Im Augenblick, in dem man ihn beim Partner
 
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