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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0311
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

Das Selbstverständnis der großen Glaubensgestalten der Menschheit ruhte bisher
auf metaphysischen, ontologischen, Offenbarungsvoraussetzungen, die sich entwe-
der gegenseitig hinnahmen, keineswegs verstanden, oder aber im Nichtverstehen sich
gegenseitig leidenschaftlich bekämpften. Sie könnten nur in Gegenseitigkeit zum vol-
len Verständnis ihrer selbst und des anderen gebracht werden, wenn ein Rahmen der
Mitteilbarkeit sie verbände, in dem kein geschichtlicher Glaubensursprung verloren
ginge oder sich preisgeben müßte.
149 2. Grundwissen und Wissenschaft. - Obgleich die Entwicklung des | Grundwissens
nicht wie die Wissenschaften zu zwingender, allgemeingültiger Erkenntnis führt, will
sie doch selber noch keinen Glauben aussprechen. Sie liegt auf der Grenze wissen-
schaftlicher Erkenntnis und existentieller Philosophie.
Der Wissenschaft vergleichbar ist, daß dieses Grundwissen nie abgeschlossen ist.
Es nimmt keine endgültige Form an. Wenn wir es uns bewußt machen, bleiben wir in
der Prüfung.
Das Grundwissen arbeitet die Formen aus, in denen wir selbst für uns in der Welt
sind, vergleichbar den Formen oder Kategorien, in denen alles für das Bewußtsein
überhaupt Denkbare erscheint. Diese Kategorien, die die gesamte Welt des Denkbaren
bestimmen, werden zu einer spezifischen Gruppe innerhalb des Bewußtseins über-
haupt, die nun Übergriffen wird. Die Denkbarkeit des Gegenständlichen wird einge-
schlossen in die Weisen des Umgreifenden, die mit ihrer Vergewisserung zwar in den
Bereich der Denkbarkeit gezogen werden, aber unangemessen. Verglichen mit der Ge-
genständlichkeit des Erkennbaren bewegt sich diese Vergewisserung vermittels von
Gegenständlichkeiten auf das Ungegenständliche des umgreifend Gegenwärtigen hin.
Weil sie an den Grenzen, wo alles gegenständliche Wissen aufhört, sich bewegt, kann
sie nicht zwingende Wissenschaft werden.
Die Ausarbeitung der Weisen des Umgreifenden bedeutet daher nicht, mit ihnen
im Grund der Dinge Bescheid wissen zu können. Sie entwirft ein Schema, das immer
einen vorläufigen, daher einen abwandelbaren, zu erweiternden und zu vertiefenden
Charakter haben muß. Der Entwurf geschieht nicht aus einem Prinzip, hat keine Ga-
rantie seiner Vollständigkeit, wird kein geschlossenes System, obgleich er im Schema
sich diese Gestalt vorübergehend geben muß.
Die Einsicht in die Weisen des Umgreifenden bringt in die Schwebe und ist selber
in der Schwebe.
3. Grundwissen und Existenz. - In der Vergewisserung des Umgreifenden sind wir
noch nicht das Umgreifende selber. Die Unterscheidung von Denkentwurf und Wirk-
lichkeit macht deutlich: das Aussprechen bringt alles in Relativität, das Darinsein sel-
ber ist nicht zu wissen. Der Relativität der Aussagen im Denken des Umgreifenden ent-
spricht der Ernst des Existierens.
Daher gibt es keine Verkündigung des Umgreifenden, das als Wahrheit zu wissen ge-
nügen könnte. Das Wort des Wissens darf den Entschluß der Wirklichkeit nicht ersetzen.
 
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