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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0328
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung 227
vielleicht einmal einer Menschheit wesentlich ist als Wissen von der Herkunft. Sie reicht
von der Geschichte eines Einzelnen, seiner Familie bis zum »Theater der Weltgeschichte«
im ganzen. Was hier objektiv erforscht und in der Darstellung erzählt wird, hat seine Be-
deutung für den inneren Kampf dieser Gemeinschaft um sich selber im äußeren Kampf
der Selbstbehauptung in der Welt. Hier soll nicht vergessen werden, weil das Gewesene
und Getane die Gegenwärtigen bewegt. Die Aneignung des Hohen, die Reinigung vom
Niedrigen bestimmen die Wahl des Weges in die Zukunft. Die hohen Forderungen der
als Ahnen Anerkannten werden gehört und in das heben aufgenommen. Die schuldvol-
len Taten und Zustände, Motive und Entschlüsse in der Vergangenheit werden als Rea-
lität durchschaut und übernommen, um in Abkehr von dem Nichtvergessenen den wah-
ren Weg zu finden. Der Wandel der Auffassung der eigenen Vergangenheit geschieht aus
dem Willen, nunmehr in neuer Situation die rechten Entschlüsse zu fassen. Die bloß
historische Darstellung wird zum verantwortlichen geschichtlichen Bewußtsein, in dem
ein Wille des Adels oder der Niedertracht, der Wahrhaftigkeit oder der Verschleierung
sich kund gibt. Viertens sprechen wir von existentieller Geschichtlichkeit, der Identität
des Einzelnen mit sich selbst in der Zeitfolge, aber quer zur Zeit. Sie ist objektiv nicht zu
fassen. Sie erscheint als sein Lebensgang, ist sich seiner gewiß in der Identität eines | Ewi-
gen in seiner geschichtlichen Gestalt. Fünftens wird die totale Geschichtlichkeit allen
Daseins, des Kosmos und der Menschheit bewußt gegenüber der Unveränderlichkeit des
Ewigen. Die Objektivierung des Einmaligen blickt auf die wirklichen Naturphänomene,
die nicht aus dem Allgemeinen von Naturgesetzen ableitbar sind. Von der individuel-
len Einzigartigkeit dieser Landschaft hier, dieses Baumes über die meteorologischen
Erscheinungen bis zur Anordnung des Kosmos.
Ganz anders die Geschichtlichkeit der Offenbarung. Sie ist die der Einmaligkeit der
»Geschichte Gottes in der Zeit«, dessen Ewigkeit in der Zeit durch Offenbarung. Es ent-
steht eine »heilige Geschichte«. Sie kann nicht bezeugt werden als Realität wie alle an-
deren geschichtlichen Erscheinungen. Bezeugt werden kann nur: »wir haben geglaubt,
daß...« Sie erhebt einen von jedem anderen Anspruch unterschiedenen Anspruch der
einzigen, ausschließenden Absolutheit dieser Heilsgeschichte.
(2) Denken wir als Bewußtsein überhaupt, so immer in Begriffen. Das Geschichtli-
che ist die Grenze des allgemein Denkbaren. Es weicht zurück vor der Aufhebung in
Begriffen. Das zeigt sich in unserem Verhalten zu anderen Menschen und zu uns selbst.
Auf dem Boden des Allgemeinen bewegen wir uns mit dem Anspruch einer Allge-
meingültigkeit unseres Sprechens. In der Mitteilung des Objektiven als Allgemein-
gültigen, zur Vollendung gebracht in der Mitteilung wissenschaftlicher Erkenntnisse,
gehört die Auslöschung unseres subjektiven Selbst zur unpersönlichen, reinen Be-
trachtung der Sache. Dieses Selbst ist nur noch in der Verläßlichkeit des Willens zur
Objektivität da. Wenn aber diese Haltung sinnwidrig alles in den Schein der Sachlich-
keit und Objektivität auflöst und es zum guten Ton des Umgangs wird, sich selbst zu
verbergen, in Masken der konventionell verlangten Typen zu leben, mit denen wir

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