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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
(3) Der Philosoph scheint auf gleiche Weise zu denken. Wir werden von den Parado-
xien genauer im fünften Teil hören. Der verborgene Gott spricht in den Chiffern, aber
so, daß an keiner Stelle die Chiffer dadurch, daß sie eindeutig direktes Wort in der Zeit
wird, den Charakter der Realität in einem anderen Sinn als dem des vieldeutig Schwe-
benden der Chiffern sonst gewinnt. Die dialektische Denkweise ist eine Form für die
Mitteilung von Chiffern der Transzendenz, die in jener vieldeutigen Schwebe den
Menschen ansprechen, aber ihn nicht sich unterwerfen.
Schwebende, vieldeutige Sprache dessen, was in menschlicher Sprache aufgefaßt
und mitteilbar wird, muß verstanden werden, ohne eindeutig verstanden werden zu
können. Ganz anders die direkte Kundgabe von Gottes Willen (etwa in der Einsetzung
von Taufe und Abendmahl, im Missionsauftrag und in der Verheißung usw.): hier tritt
eine Sprache auf, die, als Realität in der Zeit, eindeutig Gehorsam fordert. Jene schwe-
bende Sprache der Chiffern, die selber nur gleichnisweise eine Sprache heißt, und diese
Realität der unmittelbaren Gottesmitteilung, beide sind nicht als dasselbe zu vereini-
gen. Zwischen dem Sinn von beiden liegt ein Abgrund.
Der Offenbarungsglaube ist in der Gewißheit der greifbaren Realität dessen, wor-
auf er sich stützt, allem Zweifel unzugänglich, weil er die sicherste, alles überwälti-
gende, die Welt ihr gegenüber als wesenlos verschwinden lassende Realität vor sich
hat. Aber er wird in der Welt nicht nur von außen angegriffen. Er ist selber von der Rea-
lisierung der Offenbarung zugleich ergriffen und vom Zweifel angefochten. Er möchte
den Boden festhalten, aber ihn zugleich gegen den Vorwurf dieser gegenständlichen
Realisierung einer Chiffer zum handgreiflichen Sein Gottes schützen. Die Dialektik
scheint die beste Methode, dies Unmögliche zu leisten.
Nun aber ist die Frage: wird etwa die Dialektik als Aussageform vom theologischen
Denken mißbraucht, um das ganz Undialektische der leibhaftigen Realität doch als
den festen Punkt zu retten? Es handelt sich doch um Realität, nicht um vieldeutige
182 Chiffer. Wird der | Theologe dieses möglichen Mißbrauchs aus der Kraft seines redli-
chen Denkens sich bewußt, so bleibt ihm der großartig klärende Versuch, den mögli-
chen Mißbrauch aufzuheben durch die Offenheit seiner Aussage, die den Inhalt der
Offenbarung, ihre Sprache und Deutung für paradox und darüber hinaus für absurd
erklärt, und die Behauptung, gerade diese Absurdität sei die angemessene Aussageweise
für das, worum es sich hier handelt. So Kierkegaard.166
Wird aber die dem Menschen unerträgliche Konsequenz Kierkegaards, des großen
Dialektikers, nicht gezogen und damit auch nicht seine anderen, praktischen Konse-
quenzen, dann wird die Dialektik mißbraucht. Denn sie ist täuschend, wenn solche
Dialektik die durchaus undialektische Realität, die durch Bezeugung besteht und ein-
deutigen Gehorsam fordert, annehmbar oder verstehbar machen soll. Der Wider-
spruch wird aufgenommen und soll selber zum Kennzeichen der Offenbarungsreali-
tät werden. Dialektik ist denkmethodisch sinnvoll als Vergegenwärtigung von etwas,
auf das ich mich nicht berufen kann, aber aus dem ich lebe. Der Mißbrauch der Dia-
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
(3) Der Philosoph scheint auf gleiche Weise zu denken. Wir werden von den Parado-
xien genauer im fünften Teil hören. Der verborgene Gott spricht in den Chiffern, aber
so, daß an keiner Stelle die Chiffer dadurch, daß sie eindeutig direktes Wort in der Zeit
wird, den Charakter der Realität in einem anderen Sinn als dem des vieldeutig Schwe-
benden der Chiffern sonst gewinnt. Die dialektische Denkweise ist eine Form für die
Mitteilung von Chiffern der Transzendenz, die in jener vieldeutigen Schwebe den
Menschen ansprechen, aber ihn nicht sich unterwerfen.
Schwebende, vieldeutige Sprache dessen, was in menschlicher Sprache aufgefaßt
und mitteilbar wird, muß verstanden werden, ohne eindeutig verstanden werden zu
können. Ganz anders die direkte Kundgabe von Gottes Willen (etwa in der Einsetzung
von Taufe und Abendmahl, im Missionsauftrag und in der Verheißung usw.): hier tritt
eine Sprache auf, die, als Realität in der Zeit, eindeutig Gehorsam fordert. Jene schwe-
bende Sprache der Chiffern, die selber nur gleichnisweise eine Sprache heißt, und diese
Realität der unmittelbaren Gottesmitteilung, beide sind nicht als dasselbe zu vereini-
gen. Zwischen dem Sinn von beiden liegt ein Abgrund.
Der Offenbarungsglaube ist in der Gewißheit der greifbaren Realität dessen, wor-
auf er sich stützt, allem Zweifel unzugänglich, weil er die sicherste, alles überwälti-
gende, die Welt ihr gegenüber als wesenlos verschwinden lassende Realität vor sich
hat. Aber er wird in der Welt nicht nur von außen angegriffen. Er ist selber von der Rea-
lisierung der Offenbarung zugleich ergriffen und vom Zweifel angefochten. Er möchte
den Boden festhalten, aber ihn zugleich gegen den Vorwurf dieser gegenständlichen
Realisierung einer Chiffer zum handgreiflichen Sein Gottes schützen. Die Dialektik
scheint die beste Methode, dies Unmögliche zu leisten.
Nun aber ist die Frage: wird etwa die Dialektik als Aussageform vom theologischen
Denken mißbraucht, um das ganz Undialektische der leibhaftigen Realität doch als
den festen Punkt zu retten? Es handelt sich doch um Realität, nicht um vieldeutige
182 Chiffer. Wird der | Theologe dieses möglichen Mißbrauchs aus der Kraft seines redli-
chen Denkens sich bewußt, so bleibt ihm der großartig klärende Versuch, den mögli-
chen Mißbrauch aufzuheben durch die Offenheit seiner Aussage, die den Inhalt der
Offenbarung, ihre Sprache und Deutung für paradox und darüber hinaus für absurd
erklärt, und die Behauptung, gerade diese Absurdität sei die angemessene Aussageweise
für das, worum es sich hier handelt. So Kierkegaard.166
Wird aber die dem Menschen unerträgliche Konsequenz Kierkegaards, des großen
Dialektikers, nicht gezogen und damit auch nicht seine anderen, praktischen Konse-
quenzen, dann wird die Dialektik mißbraucht. Denn sie ist täuschend, wenn solche
Dialektik die durchaus undialektische Realität, die durch Bezeugung besteht und ein-
deutigen Gehorsam fordert, annehmbar oder verstehbar machen soll. Der Wider-
spruch wird aufgenommen und soll selber zum Kennzeichen der Offenbarungsreali-
tät werden. Dialektik ist denkmethodisch sinnvoll als Vergegenwärtigung von etwas,
auf das ich mich nicht berufen kann, aber aus dem ich lebe. Der Mißbrauch der Dia-