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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0539
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

(a) Wir klären die verschiedenen Wahrheitsbegriffe in ihrer Ursprünglichkeit und
ihrer Beziehung auf einander in den Weisen des Umgreifenden. Davon war im Kapitel
über das Grundwissen die Rede.
Was auch immer gesprochen, getan, erfahren wird, unterliegt der Sinnerhellung
durch dieses Grundwissen. Dieses befreit, läßt den Sachen in ihrer mannigfachen Ob-
jektivität ihren dort angemessenen Raum. Es begrenzt sie und hebt sie schließlich in
dem Umgreifenden aller Umgreifenden auf. Es stärkt die Verantwortung der Wahrhaf-
tigkeit vor der Wahrheit.
(b) In der philosophischen Möglichkeit des Transzendierens zeigt das methodolo-
gische Bewußtsein drei Wege? das formale Transzendieren der Spekulation, die Erhel-
lung der existentiellen Bezüge zur Transzendenz, das Lesen der Chiffernschrift.
Die drei Wege sind verschlungen in der Wirklichkeit der Existenz. Getrennt vonei-
nander werden sie in den methodologischen Interpretationsweisen. Sie sind Angaben
der Wege des Denkens und Anschauens, auf denen im Mitgehen die Vorbereitung des
Sprunges erfahren werden kann, der selber nur in der Existenz erfolgt. Aus dem Sprung
her und zu ihm hin wird gedacht. Der Sprung ist allein in dem Denkakt, der selber Le-
benspraxis, und in der Lebenspraxis, die selber Denken ist. Was in keinem philosophi-
436 sehen Wort, keinem losgelösten | Satz, keinem literarischen Gebilde getan werden
kann, das geschieht in der unwiederholbaren Geschichtlichkeit der Existenz. Der an-
dere Flügel muß schlagen, damit der einseitige, lahme Flügelschlag des bloßen Philo-
sophierens Kraft gewinnt.
(c) Das methodologische Denken geht mit dem Verstände vor, der rational analy-
siert. Ist etwa das Verstandesdenken als methodologisches Denken dem ursprüngli-
chen Denken als kritische Instanz übergeordnet? Hier liegt eine Frage an den Sinn der
Reflexion des philosophischen Denkens auf sich selbst.
Durch reflexionslose Identifikation mit sich selbst wird das Denken gefesselt, durch
Distanzierung zu sich selber wird es befreit. Aber der Verstand, der die Methoden (au-
ßer den eigentlich wissenschaftlichen) allgemeingültig klären will, versteht selber
nicht, was eigentlich in dem Denken getan wird, das zwar den Verstand benutzt, aber
mehr ist als er, wenn es als Spekulation, als Existenzerhellung, als Lesen der Chiffer-
schrift sich vollzieht. Die Instanz stände unter dem, was sie nicht versteht und doch
beurteilt. Aber so ist es in der Tat nicht. Die Distanz wird nicht schon durch den Ver-
stand geschaffen, sondern bedient sich seiner, nicht anders wie das spekulative Den-
ken selber sich des Verstandes bedient. Die methodologische Distanzierung ist ein Akt
des Philosophierens selber, nicht einer bloßen ratio, die sich überlegen dünkt.
Die Grenze des methodologischen Bewußtseins liegt dort, wo das Wesentliche
nicht mehr objektivierend unter Kriterien dieses Bewußtseins bestimmbar wird. Die-

Vgl. meine »Philosophie« Band III.
 
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