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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
tigen Situation sein, so scheint das Ende der menschlichen Geschichte unwiderruf-
lich. Daß dies, solange Menschen leben, nicht geschehe, ist selber ein Glaubensinhalt,
kein Wissen.
Es bleibt ein nur abstrakter, selber schon glaubensloser Gedanke, daß nach einer
Wüstenwanderung kommender Jahrhunderte und Jahrtausende eine neue andere
Geschichte der Freiheit beginnen könnte, wie sie vor sechstausend Jahren begonnen
hatte. Aber was für ein gewaltiger Unterschied! Damals begann sie auf dem Grunde
eines mythischen Denkens und dem Reichtum der Sprache als der beiden Zeugnisse
einer unvordenklichen menschlichen Substanz (die dann in der Geschichte ver-
braucht worden wäre). Nach der gegenwärtigen Zerstörung würde sie beginnen auf
dem Grunde einer substanzlosen Unfreiheit; auf dem Grunde des Arbeitsmechanis-
mus des technischen Zeitalters, der rational dirigierten Arbeit und Freizeit der Un-
freien, die mit sich nichts anzufangen wissen; auf dem Grunde eines Menschen und
Natur in sich aufzehrenden Produktions- und Konsumtionsbetriebes. Die neue Ge-
schichte ginge von einer dem Sinne nach ganz anderen Unfreiheit aus als die erste.
Sie wäre eine wie ein Stahlgerüst einschnürende und die Seele selber in solche Gerüste
verwandelnde Unfreiheit, während vor dem prometheischen Zeitalter eine schlum-
mernd erfüllte Unfreiheit lag. Nach der gegenwärtigen Zerstörung wäre der Ausgang
von der Unfreiheit einer geschichtslosen rationalen Technik, damals von der Unfrei-
heit einer unvordenklichen Geschichte.
(2) Der Mensch auf dem Wege zur Wahrheit:
Statt im Genuß der vollendeten Wahrheit stehen wir Menschen auf dem Weg zur
Wahrheit im Kampf.
Die Leidenschaften unseres Daseins sind Bedingung unserer Lebendigkeit in allen
Weisen des Umgreifenden, das wir sind, aber treiben uns ständig in die Irre. Der Ver-
stand des Bewußtseins überhaupt ist Bedingung aller Klarheit und Richtigkeit im Rela-
tiven, aber verkehrt unseren Wahrheitssinn, wenn er die Wahrheit im ganzen als das
Richtige bestimmen will. Der Zauber des Geistes ist unerläßlich für den Raum, in dem
unsere Phantasie waltet und die Sprache der Erscheinungen hörbar werden läßt, aber
verführt in eine ästhetische Scheinwelt. Die Unbedingtheit des Existentiellen, in ihrer
Geschichtlichkeit immer schon berührt von dem Schimmer des Ausnahmeseins,
464 drängt | in die Verlorenheit, in der sie an der Welt scheitert und verschwindet.
Der Kampf um Selbstbehauptung im Dasein durch List und Gewalt, der Kampf im
Bewußtsein überhaupt durch begründende Diskussion, der Kampf im Raum des Geis-
tes durch die Gestalten der Phantasie um Rang und Wirkung, der liebende Kampf der
Existenzen um das gemeinschaftliche Selbstwerden - immer ist Kampf.
Diese unübersehbaren Kämpfe bedeuten den Weg des Menschen zur Wahrheit. Alle
Vollendungen sind Augenblicke und alsbald Ausgang auf den weiteren Weg. Denn in
der Zeit kann er kein Ende durch Vollendung finden. Jede Ruhe ist Atempause zur Ent-
wicklung neuer Kräfte.
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
tigen Situation sein, so scheint das Ende der menschlichen Geschichte unwiderruf-
lich. Daß dies, solange Menschen leben, nicht geschehe, ist selber ein Glaubensinhalt,
kein Wissen.
Es bleibt ein nur abstrakter, selber schon glaubensloser Gedanke, daß nach einer
Wüstenwanderung kommender Jahrhunderte und Jahrtausende eine neue andere
Geschichte der Freiheit beginnen könnte, wie sie vor sechstausend Jahren begonnen
hatte. Aber was für ein gewaltiger Unterschied! Damals begann sie auf dem Grunde
eines mythischen Denkens und dem Reichtum der Sprache als der beiden Zeugnisse
einer unvordenklichen menschlichen Substanz (die dann in der Geschichte ver-
braucht worden wäre). Nach der gegenwärtigen Zerstörung würde sie beginnen auf
dem Grunde einer substanzlosen Unfreiheit; auf dem Grunde des Arbeitsmechanis-
mus des technischen Zeitalters, der rational dirigierten Arbeit und Freizeit der Un-
freien, die mit sich nichts anzufangen wissen; auf dem Grunde eines Menschen und
Natur in sich aufzehrenden Produktions- und Konsumtionsbetriebes. Die neue Ge-
schichte ginge von einer dem Sinne nach ganz anderen Unfreiheit aus als die erste.
Sie wäre eine wie ein Stahlgerüst einschnürende und die Seele selber in solche Gerüste
verwandelnde Unfreiheit, während vor dem prometheischen Zeitalter eine schlum-
mernd erfüllte Unfreiheit lag. Nach der gegenwärtigen Zerstörung wäre der Ausgang
von der Unfreiheit einer geschichtslosen rationalen Technik, damals von der Unfrei-
heit einer unvordenklichen Geschichte.
(2) Der Mensch auf dem Wege zur Wahrheit:
Statt im Genuß der vollendeten Wahrheit stehen wir Menschen auf dem Weg zur
Wahrheit im Kampf.
Die Leidenschaften unseres Daseins sind Bedingung unserer Lebendigkeit in allen
Weisen des Umgreifenden, das wir sind, aber treiben uns ständig in die Irre. Der Ver-
stand des Bewußtseins überhaupt ist Bedingung aller Klarheit und Richtigkeit im Rela-
tiven, aber verkehrt unseren Wahrheitssinn, wenn er die Wahrheit im ganzen als das
Richtige bestimmen will. Der Zauber des Geistes ist unerläßlich für den Raum, in dem
unsere Phantasie waltet und die Sprache der Erscheinungen hörbar werden läßt, aber
verführt in eine ästhetische Scheinwelt. Die Unbedingtheit des Existentiellen, in ihrer
Geschichtlichkeit immer schon berührt von dem Schimmer des Ausnahmeseins,
464 drängt | in die Verlorenheit, in der sie an der Welt scheitert und verschwindet.
Der Kampf um Selbstbehauptung im Dasein durch List und Gewalt, der Kampf im
Bewußtsein überhaupt durch begründende Diskussion, der Kampf im Raum des Geis-
tes durch die Gestalten der Phantasie um Rang und Wirkung, der liebende Kampf der
Existenzen um das gemeinschaftliche Selbstwerden - immer ist Kampf.
Diese unübersehbaren Kämpfe bedeuten den Weg des Menschen zur Wahrheit. Alle
Vollendungen sind Augenblicke und alsbald Ausgang auf den weiteren Weg. Denn in
der Zeit kann er kein Ende durch Vollendung finden. Jede Ruhe ist Atempause zur Ent-
wicklung neuer Kräfte.