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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
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Aber was soll das mit dem »Gespenst«? Gespenst heißt eine leibhaftige Erscheinung, die doch
nicht real ist, keine Substanz hat, daher nicht greifbar ist und doch materiell anwesend ist. Es
ist etwas, das nichts ist, aber doch ängstigt und täuscht. Von Gespenstern zu reden scheint mir
daher eher denjenigen vorzuwerfen zu sein, die Gott leibhaftig werden lassen, als denen, die
jede Weise von Leibhaftigkeit als eine Trübung der Reinheit Gottes begreifen, es sei denn, daß
sie für uns endliche sinnliche Vernunftwesen als Chiffern sprechen. Aber wohin kommen wir,
wenn wir in dem für Existenz entscheidenden Punkte uns gegenseitig Umgang mit Gespens-
tern vorwerfen! Ich weiß, daß ich den wahrhaftigen Offenbarungsglauben, wenn ich ihm Um-
gang mit einem Gottesgespenst vorwerfen würde, nicht verstehe. Vielleicht versteht der theo-
logische Offenbarungsglaube auch unsere Denkungsart, Erfahrung und Lebenspraxis nicht.
Aber das darf nicht das letzte Wort sein.
Ich habe die Sätze Karl Barths abgedruckt als Dokument des heute bekanntesten und ange-
sehensten protestantischen Theologen. Die Philosophie gilt hier wohl eigentlich als ein über-
flüssiger Unfug. Die Konsequenz wäre, mit philosophierenden Menschen nicht ernsthaft in
Kommunikation, sondern allenfalls in eine beiläufige Diskussion mit einem freundlich distan-
zierenden, aber gelegentlich recht grimmigen Humor zu treten.
| 2. Die Idee einer Verwandlung der Erscheinung biblischer Religion
Kann der biblische Offenbarungsglaube sich in der Erscheinung verwandeln? Kann
das geschehen durch Wiederergreifen seines ursprünglichen Ernstes? Kann seine
heute immer schwächer werdende Kraft Wiedererstehen?
Die Schwäche kann bestritten werden, mit Recht, sofern es nicht möglich ist, den
Glauben in der Innerlichkeit des Einzelnen, in seiner Not und seinem Sterben zu ken-
nen. Man kann nur sein Verhalten, seine Entscheidungen, Urteile, Handlungen in der
Welt sehen.
Man sah die Widerstandskämpfer in allen europäischen Ländern, ihren Mut bis in
den Tod. Ihr Entschluß zum Kampf entsprang der eigenen Freiheit, keinem Gehorsam
gegenüber einer weltlichen Instanz. Wir lesen ihre Worte, in denen sie sich selbst verste-
hen. Unabhängig von allen Schichten und Gruppen haben nicht nur Christen, sondern
Liberale, Sozialisten, Skeptiker und Menschen, die sich als Kommunisten verstanden,
den gleichen Opfermut bewiesen, mit der gleichen Ruhe vor dem Tode, mit der gleichen
Glaubenskraft, mit der Erleuchtung des Somüssens als ihrer eigentlichen Freiheit.
Wie Menschen ihr Selbstverständnis aussprechen, das kann dem, was sie erfuhren
und taten, unangemessen sein. Was in den Widerstandskämpfern die Wirklichkeit ih-
res Glaubens war, weiß, bei der völligen Verschiedenheit des von ihnen ausgesagten
Glaubensinhalts, niemand. Die Glaubwürdigkeit und Angemessenheit der Doku-
mente meinen wir nur zu sehen angesichts des einzelnen Menschen. Da hören wir den
Ton, das ganz Einfache, oder hören auch wunderlich verwickelte Denkwege, Urteile
und Begründungen.
Auch was bei biblisch gläubigen Widerstandskämpfern der Ursprung ihres Ernstes
war, kann kein anderer Mensch wissen. Juden und Christen haben den biblischen Of-
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
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Aber was soll das mit dem »Gespenst«? Gespenst heißt eine leibhaftige Erscheinung, die doch
nicht real ist, keine Substanz hat, daher nicht greifbar ist und doch materiell anwesend ist. Es
ist etwas, das nichts ist, aber doch ängstigt und täuscht. Von Gespenstern zu reden scheint mir
daher eher denjenigen vorzuwerfen zu sein, die Gott leibhaftig werden lassen, als denen, die
jede Weise von Leibhaftigkeit als eine Trübung der Reinheit Gottes begreifen, es sei denn, daß
sie für uns endliche sinnliche Vernunftwesen als Chiffern sprechen. Aber wohin kommen wir,
wenn wir in dem für Existenz entscheidenden Punkte uns gegenseitig Umgang mit Gespens-
tern vorwerfen! Ich weiß, daß ich den wahrhaftigen Offenbarungsglauben, wenn ich ihm Um-
gang mit einem Gottesgespenst vorwerfen würde, nicht verstehe. Vielleicht versteht der theo-
logische Offenbarungsglaube auch unsere Denkungsart, Erfahrung und Lebenspraxis nicht.
Aber das darf nicht das letzte Wort sein.
Ich habe die Sätze Karl Barths abgedruckt als Dokument des heute bekanntesten und ange-
sehensten protestantischen Theologen. Die Philosophie gilt hier wohl eigentlich als ein über-
flüssiger Unfug. Die Konsequenz wäre, mit philosophierenden Menschen nicht ernsthaft in
Kommunikation, sondern allenfalls in eine beiläufige Diskussion mit einem freundlich distan-
zierenden, aber gelegentlich recht grimmigen Humor zu treten.
| 2. Die Idee einer Verwandlung der Erscheinung biblischer Religion
Kann der biblische Offenbarungsglaube sich in der Erscheinung verwandeln? Kann
das geschehen durch Wiederergreifen seines ursprünglichen Ernstes? Kann seine
heute immer schwächer werdende Kraft Wiedererstehen?
Die Schwäche kann bestritten werden, mit Recht, sofern es nicht möglich ist, den
Glauben in der Innerlichkeit des Einzelnen, in seiner Not und seinem Sterben zu ken-
nen. Man kann nur sein Verhalten, seine Entscheidungen, Urteile, Handlungen in der
Welt sehen.
Man sah die Widerstandskämpfer in allen europäischen Ländern, ihren Mut bis in
den Tod. Ihr Entschluß zum Kampf entsprang der eigenen Freiheit, keinem Gehorsam
gegenüber einer weltlichen Instanz. Wir lesen ihre Worte, in denen sie sich selbst verste-
hen. Unabhängig von allen Schichten und Gruppen haben nicht nur Christen, sondern
Liberale, Sozialisten, Skeptiker und Menschen, die sich als Kommunisten verstanden,
den gleichen Opfermut bewiesen, mit der gleichen Ruhe vor dem Tode, mit der gleichen
Glaubenskraft, mit der Erleuchtung des Somüssens als ihrer eigentlichen Freiheit.
Wie Menschen ihr Selbstverständnis aussprechen, das kann dem, was sie erfuhren
und taten, unangemessen sein. Was in den Widerstandskämpfern die Wirklichkeit ih-
res Glaubens war, weiß, bei der völligen Verschiedenheit des von ihnen ausgesagten
Glaubensinhalts, niemand. Die Glaubwürdigkeit und Angemessenheit der Doku-
mente meinen wir nur zu sehen angesichts des einzelnen Menschen. Da hören wir den
Ton, das ganz Einfache, oder hören auch wunderlich verwickelte Denkwege, Urteile
und Begründungen.
Auch was bei biblisch gläubigen Widerstandskämpfern der Ursprung ihres Ernstes
war, kann kein anderer Mensch wissen. Juden und Christen haben den biblischen Of-