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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
nicht bewußter Gewaltakt. Aber er muß sich hüten, hier als wahr zu behaupten, was ihm
so scheint, trotz seines Gewißseins, das diese Lage ihm so beunruhigend macht. Er würde
dem Vorwurf der Verstocktheit, der vom Offenbarungsglauben uns gemacht wird, mit
demselben Vorwurf antworten. Aber der Philosophierende will das, was ihm ein Sichver-
sagen scheint, doch respektieren, da er sich selbst mit seinem Denken nicht der Vertre-
tung aller gewiß ist. Er kann nicht anders als sich selbst zu sagen: Jene Verwerfung der
Verwandlung in Chiffern richtet sich nicht nur gegen die Vernunft der Philosophie, son-
dern gegen den Gottesgedanken selber und die Möglichkeit der freien Existenz. Der Phi-
losophierende möchte die Leibhaftigkeit preisgeben, weil er muß, zugunsten dessen, was
von Anfang an auch ohne Leibhaftigkeit im Glaubenden zu allen Zeiten wirksam war. Er
möchte die philosophische Denkungsart den modernen Menschen, den Völkern so mit-
teilen können, daß sie sich nicht bloß dem rationalen Verstände und den psychischen
Emotionen ergeben, sondern den Sinn der Chiffern erfassen und durch den Gottesge-
danken der Transzendenz sich öffnen, mit allen Folgen, die solche Umkehr hätte.
Können nicht doch in der Idee über einen Abgrund des Wirklichkeitsbewußtseins
hinweg Philosophie und Theologie, in diesen Auslegungen des ursprünglichen Philo-
sophierens und des Offenbarungsglaubens, sich treffen?
Voraussetzung ist, daß auf beiden Seiten Klarheit über das gewonnen wird, was mit der
Wirklichkeit von Taten und Worten Gottes gemeint ist, und daß die Kraft des Glaubens in
der Klarheit und Redlichkeit, ohne Gewaltsamkeit nach innen und außen, standhält.
Falsch ist es gewiß, wenn Offenbarungsglaube der Realität des zwingend Gewuß-
ten und Wißbaren ins Gesicht schlägt. Falsch ist es auch, wenn die rationale Endgül-
tigkeit eines Wissens im ganzen behauptet wird.
507 Der philosophische Glaube und der Offenbarungsglaube könnten | sich treffen
durch das Bewußtsein, gemeinsam im unergründlichen Gang der Dinge zu stehen, der
für den einen gleichsam überwölbt ist von einer Leibhaftigkeit des Geoffenbarten, für
den anderen aufgenommen ist im erfüllenden Nichtwissen (wie Plato, Nicolaus Cusa-
nus, Kant über alle Unterschiede zwischen ihnen hinweg es begriffen).
Die beiden Glaubensweisen könnten verbunden sein in dem Bewußtsein jedes Ein-
zelnen, selbst werden zu können in dem, was wir, mit Kategorien die Kategorien über-
schreitend, unangemessen ansprechen als »Sinn«, als »Heil«, als »das Bleibende im
Verschwinden von allem«, als das, was weder zeitlich noch zeitlos, sondern ewig ist.
Es ist das, was, sei es als Offenbarung, sei es als Nichtwissen, die Unruhe in der Zeit
erzeugt und mit ihr den Ernst.
Es ist das, was befragt keine Antwort gibt, oder das durch sein Schweigen selber zu
fragen scheint, erzittern macht durch Fragen, auf die kein Verstand, kein Glaubensbe-
kenntnis, keine Chiffer eine entsprechende Antwort gibt, oder auf die die Antwort
durch den Ernst der Lebenspraxis der Existenz erfolgt, die sich nicht lösen läßt von
Chiffern und Leibhaftigkeiten, in denen die Wirklichkeit des Schweigens der Tran-
szendenz nie genügend, nie angemessen aufgefangen ist.
Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung
nicht bewußter Gewaltakt. Aber er muß sich hüten, hier als wahr zu behaupten, was ihm
so scheint, trotz seines Gewißseins, das diese Lage ihm so beunruhigend macht. Er würde
dem Vorwurf der Verstocktheit, der vom Offenbarungsglauben uns gemacht wird, mit
demselben Vorwurf antworten. Aber der Philosophierende will das, was ihm ein Sichver-
sagen scheint, doch respektieren, da er sich selbst mit seinem Denken nicht der Vertre-
tung aller gewiß ist. Er kann nicht anders als sich selbst zu sagen: Jene Verwerfung der
Verwandlung in Chiffern richtet sich nicht nur gegen die Vernunft der Philosophie, son-
dern gegen den Gottesgedanken selber und die Möglichkeit der freien Existenz. Der Phi-
losophierende möchte die Leibhaftigkeit preisgeben, weil er muß, zugunsten dessen, was
von Anfang an auch ohne Leibhaftigkeit im Glaubenden zu allen Zeiten wirksam war. Er
möchte die philosophische Denkungsart den modernen Menschen, den Völkern so mit-
teilen können, daß sie sich nicht bloß dem rationalen Verstände und den psychischen
Emotionen ergeben, sondern den Sinn der Chiffern erfassen und durch den Gottesge-
danken der Transzendenz sich öffnen, mit allen Folgen, die solche Umkehr hätte.
Können nicht doch in der Idee über einen Abgrund des Wirklichkeitsbewußtseins
hinweg Philosophie und Theologie, in diesen Auslegungen des ursprünglichen Philo-
sophierens und des Offenbarungsglaubens, sich treffen?
Voraussetzung ist, daß auf beiden Seiten Klarheit über das gewonnen wird, was mit der
Wirklichkeit von Taten und Worten Gottes gemeint ist, und daß die Kraft des Glaubens in
der Klarheit und Redlichkeit, ohne Gewaltsamkeit nach innen und außen, standhält.
Falsch ist es gewiß, wenn Offenbarungsglaube der Realität des zwingend Gewuß-
ten und Wißbaren ins Gesicht schlägt. Falsch ist es auch, wenn die rationale Endgül-
tigkeit eines Wissens im ganzen behauptet wird.
507 Der philosophische Glaube und der Offenbarungsglaube könnten | sich treffen
durch das Bewußtsein, gemeinsam im unergründlichen Gang der Dinge zu stehen, der
für den einen gleichsam überwölbt ist von einer Leibhaftigkeit des Geoffenbarten, für
den anderen aufgenommen ist im erfüllenden Nichtwissen (wie Plato, Nicolaus Cusa-
nus, Kant über alle Unterschiede zwischen ihnen hinweg es begriffen).
Die beiden Glaubensweisen könnten verbunden sein in dem Bewußtsein jedes Ein-
zelnen, selbst werden zu können in dem, was wir, mit Kategorien die Kategorien über-
schreitend, unangemessen ansprechen als »Sinn«, als »Heil«, als »das Bleibende im
Verschwinden von allem«, als das, was weder zeitlich noch zeitlos, sondern ewig ist.
Es ist das, was, sei es als Offenbarung, sei es als Nichtwissen, die Unruhe in der Zeit
erzeugt und mit ihr den Ernst.
Es ist das, was befragt keine Antwort gibt, oder das durch sein Schweigen selber zu
fragen scheint, erzittern macht durch Fragen, auf die kein Verstand, kein Glaubensbe-
kenntnis, keine Chiffer eine entsprechende Antwort gibt, oder auf die die Antwort
durch den Ernst der Lebenspraxis der Existenz erfolgt, die sich nicht lösen läßt von
Chiffern und Leibhaftigkeiten, in denen die Wirklichkeit des Schweigens der Tran-
szendenz nie genügend, nie angemessen aufgefangen ist.